Dienstag, 27. November 2007

Eine Kurzgeschichte von Pedro Paixão

Fremde

Ich hätte dir nicht in dein Land folgen sollen.

Avenida Almirante Reis, ein Blinder nähert sich in der Dunkelheit. Es ist heiß wie im Treibhaus. Du gehst vor mir, zwischen Gerüchen nach gesalzenem Fisch und Abgasen. Ich passiere eine Gruppe Frauen, seit sieben Jahren im Streit. Du siehst mich nicht an. Ich fühle an meinem Finger den silbernen Ring von drei Beziehungen. Du hast ihn mir gegeben, du hast ihn mir abgezogen, hast ihn mir wiedergegeben. Ich wage es nicht, dich zu verlassen inmitten dieser Stadt der sieben Hügel. Ich hätte dir nicht folgen sollen. Ich betrachte deinen Nacken, deine Haare sind geschmeidig wie das schwarze Gefieder eines Vogels.
Als ich am Bahnhof ankam, nahmst du mich nicht in deine Arme. Du riefst ein Taxi und brachtest mich weg. Deine Mutter empfing mich am Ausgang des Fahrstuhls. Wir schliefen nicht miteinander. Auf dem Balkon wartete ich auf den Schlaf. Die Straße ist rosa, rot und grün. Die Häuser sind nie gestrichen worden. Es ist eine sehr steile Straße. Große Flugzeuge kreuzen den Horizont, ich höre sie nicht. In deinem Zimmer hörst du Ravel und Debussy. Ich hätte nicht geglaubt, dass ich mich so schnell fremd fühlen würde.

Du nahmst mich mit nach Óbidos, ans Meer, damit wir allein sein könnten. Du wolltest mich nicht vor Sonnenuntergang lieben. Ich zitterte vor Verlangen. Du zeigtest mir Zwiebelfelder, Wanderdünen, einen Bach. Frösche hüpften zu unseren Füßen. Du gingst voraus. Ich hörte deine Stimme, deutete das Rauschen der Wellen in der Nähe der Felder, atmete den süßen Duft der Blumen. Du verachtetest deinen Vater und seinen Geschäftssinn.
Es war nicht hier, da ich dir begegnet bin. Auf den ersten Blick mochte ich dich. Du hattest nichts gemein mit der Wirklichkeit, die mich umgab.

Du gehst mir voraus durch die Gassen des Bairro Alto, zwischen engen und hohen Häusern. Die über unseren Köpfen aufgehängte Wäsche flattert im Wind wie Segel, wie Fahnen. Vogelkäfige hängen an den Fenstern. Du berührst mich nicht. Ich leide an der Distanz, die uns trennt. Ich glaube, nicht einmal mehr dich an der Hand zu halten ist mir erlaubt. Stück für Stück versagst du dich mir. Ein anderes Land besiegt mich, eine andere Sprache, ein entferntes Wesen. Ich weiß schon fast nichts mehr.
In Óbidos küsstest du die Mädchen auf die Wangen und sie lachten vor Vergnügen. Du nahmst sie mit nach draußen. Jeder kleine Kuss auf die salzige Haut der Kinder war für mich wie ein Krachen und ich las weiter diesen endlosen Roman im Schatten der Terrasse. Der Dorftrottel machte obszöne Gesten zu mir herüber. Die Bauern sahen mich an wie eine Giraffe. Ich war eine Fremde.
Ich verlor sogar meinen Namen. Alle nennen mich Ana. Mein Land entfernt sich.

Leider habe ich keinen Spiegel in meinem Zimmer, damit er mich wiedererkennt. Ich leere mich, du bist der einzige, der mich retten kann. Du schläfst zu schnell ein und wachst zu früh auf. Ich hätte dich nicht lieben sollen. Du magst die Liebe nicht. Du magst nur das immer gleiche, das sich wiederholende, den Tee jeden Tag im Estrela-Park, gegenüber dem Teich mit den Schwänen, das Vergnügen vor dem Schlafen, die gleichen Spaziergänge, die gleichen Leute seit ewig. Die gleichen Bücher, die gleichen Bilder, dieselbe Stelle bei Proust, die du mich immer hast laut lesen lassen, während du deinen Tee getrunken hast zwischen den Hibiskussträuchern im Estrela-Park. Du warst würdevoll und kurzsichtig wie ein Herr der nicht aus meiner Zeit kam.

Deine früheren Geliebten sind schön und unglücklich. Nichts in der Geschichte deines Lebens schien dem Zufall überlassen zu sein. Am Strand rittest du auf dem Pferd, wie du es auf dem englischen College gelernt hattest. Wenn ich dich nur sehe, fühle ich einen Schauer. Man könnte sagen, dass du alles gelesen hast, was man lesen sollte: Musil, Kafka, Cervantes. Mit achtzehn hast du riskiert, ins Gefängnis zu kommen wegen roter Wörter an Hauswänden, kommunistischer Wörter. Alle deine Freunde sind homosexuell. Du zeigtest mir das Gymnasium, wo du nie von der Ehrentafel verschwunden bist. Es scheint keinen Fehler in deiner Persönlichkeit zu geben, keinen Riss, durch den man eintreten kann. Wenn man dich hört, war dein Leben groß und dicht. Jedoch, manchmal scheint mir, dass ein Teil von dir auf der Strecke geblieben ist, tot irgendwo oder zumindest verloren. Du ängstigst dich vor Gefühlen. Wiederholst die gleichen Sätze. Ich suche dich hinter deiner Abwesenheit.
Ich folge dir. Du zeigst mir das Café deines Lieblingsdichters. Wenn du den Hut aufsetzt, den du aus Prag mitgebracht hast, ähnelst du ihm und deine jüdische Ausstrahlung tritt hervor. Wir essen Pastéis de Nata am Hironymuskloster. Du liest und ich würde dich nicht mehr lieben, wenn du ein absolut Unbekannter an einem anderen Tisch wärst, taub für den geschäftigen Lärm und gekleidet wie du in Blaugrau. Die Teekanne ist aus Silber und die riesigen Spiegel verdecken die Wände, die Kellner tragen weiße Handschuhe.

Als ich dich kennenlernte, lebtest du wie ein Mönch. Du standest früh auf, schlucktest ein rohes Ei. Du gabst dich mit fast niemandem ab. Du warst bei allen Kursen in der ersten Reihe, mit Krawatte. Gingst durch die Buchläden. Lasest die Briefe deiner Geliebten, die von der anderen Seite des Ozeans kamen. Sahst dir immer wieder die Fotografien von ihr an, sie nackt am Strand. Du ließt sie auf dem Schreibtisch liegen und kehrtest zurück zu Chomsky und Jacobsen. Ich lief dir über den Weg in einem holzverkleideten Hörsaal. Du hattest den müden Blick eines Kurzsichtigen. Deine Hände waren fein.

Heute nacht ist Lissabon zu groß und ich verliere mich in mir. Du glaubst, ich schreibe auf der Maschine, um dich am Schlafen zu hindern. Du nimmst eine Schlaftablette. Ich betrachte die Stadt, die Autos hupen in der Nacht. Ich kann nicht mehr zu dir sprechen, noch weiß ich, wie ich dich erreiche. Du sagtest mir: “Du bist die einzige Person, die ich an meiner Seite ertrage. Ich mag die Leute nicht. Aber ich brauche dich.” Später, als ich diese Krankheit hatte, fragtest du mich, ob ich sterben würde. Ich sagte nein. Sehr gut, sagtest du, dann müssten wir nicht heiraten. Halbtot hättest du mich akzeptiert. “Was ich an dir hasse,” sagtest du auch, “ist, dass du glaubst, ich würde dich nicht lieben.”

In Tavira kaufen wir Fleisch bei einem blutbefleckten Fleischer. Der warme Geruch des Todes verursacht mir Übelkeit. Ich gehe. Es gibt zu viele Insekten. Über der Steilküste werden wir von einer Wolke gigantischer Käfer attackiert. Ich träume vom Herbst in meinem Land. Die Portugiesen blicken auf mich unterhalb der Taille. Du bestehst darauf, dass ich auf meine Sprechweise achte. Du hast meine Fotos in eine alte Zigarrenschachtel gelegt, zusammen mit anderen. Du zeigst sie wem immer du willst. Du küsst mich nicht in der Öffentlichkeit. Du hast mir zwei rote Kleider geschenkt. Ich kämme mich nicht , sage Grobheiten, ziehe die beiden Kleider an.
“Du wirst mich nie kennen, wirst nie wissen, wer ich bin.” das sagtest du mir auch, als ich noch nicht wußte, wer du warst.

Ich sehe die Boote der Fischer, die in der Nacht auf dem Meer leuchten wie flüssige Sterne. Ich verschlinge Erdbeeren. Betrete das Zimmer ohne dich zu wecken, um dich schlafen zu sehen. Ich wiederhole im Kopf die Worte, die du mir auf portugiesisch beigebracht hast, dabei lege ich meine Hand in den Nacken. Die Dinge um mich herum verwandeln sich. Ich würde gerne am Strand schlafen, im Angesicht des Meeres, das zu dir gehört.
Ich fürchte deine Wut. Ich ertrage es nicht länger, dir in dein Labyrinth zu folgen. Ich fühle mich so klein. Eine Mücke hat sich an der Decke niedergelassen. Ich fühle, dass ich verrückt werde. Du hast mir auch noch gesagt, dass die Zärtlichkeiten die Haut nicht durchdringen. Du opferst mich. Zweimal habe ich dich verlassen, zweimal bin ich zurückgekehrt. Du bist in mir wie eine Wunde.
Ich hätte nicht kommen sollen. Wir verstehen uns nicht. Unser Verlangen, unser Vergnügen sind schmerzhaft. Du verletzt mich und bittest mich nicht zu schreien. Und wagst es noch zu sagen, dass ich zu dir gehöre. Ich befreie mich aus deinen Armen, deformiere mich. Trinke Schnaps, der mich verbrennt. Ich beginne dich zu hassen. Lissabon ist eine nutzlose Stadt. Auf dem Marmor in der Küche liegt ein toter Tintenfisch. Gleichzeitig liebe ich dich weiterhin maßlos.

Im Wald von Monsanto warten die Prostituierten bei den stillen Kiefern. Ich fühle mich mit Schrecken zu einem kleinen Teil in einem Puzzle werden. Du hörst weiter Ravel und Debussy in deinem Zimmer. Ich beschließe, zurück in mein Land zu gehen, um das Leben der Sterblichen zu leben.

Sonntag, 18. November 2007

Bloß nicht denken!

Fernsehen macht blöd. Geld hat noch jede Revolution verraten. Das System ist schuld. Derart sind die Wahrheiten, die der Film »Free Rainer« den Zuschauern in die aufgeweichten Köpfe hämmert. Denn eines wird nach spätestens 10 MInuten deutlich: Hans Weingartners neuester Film ist nicht mutig, er ist nicht politisch und ja, er will dem Zuschauer sagen: Du bist blöd! Vor allem ist er aber von einer unerträglichen Arroganz - nicht gegenüber den Zuschauern, die in der Tat blöd sind, wenn sie sich diesen Film ansehen, arrogant gegenüber den Figuren, die vom revolutionskitschigen Plot vergewaltigt werden. Selten habe ich einen Film gesehen, der es schafft, die Konflikte seiner Protagonisten so konsequent zu vernachlässigen, auszublenden und zu vereinfachen. Es hätte eine Klamotte, mit viel Slapstick werden können, wenn, ja wenn Hans Weingartner das Zeug dazu gehabt hätte. Aber Humor hat er nicht, das ist spätestens seit »Die fetten Jahre sind vorbei« klar. Denn »Free Rainer« ist im Grunde nichts anderes als die konsequente Fortführung dieses auch nicht besonders guten Films. Aber es kann immer nocht schlechter kommen. Vor allem, wenn man sich in der Tradition Fassbinders sieht, ohne auch nur im entferntesten dessen Komplexität zu erreichen. Das schlägt in »Free Rainer« voll auf die Schauspieler durch. Die liefern eine Leistung ab, die einem Gruppenseminar der Schauspielschule im 1. Semester zu Ehre gereicht. Versaut aber haben nicht sie den Film, sondern das Drehbuch, dass ihnen Sätze wie die oben zitierten abverlangt. Darin liegt in meinen Augen das eigentliche Versagen des Films: er nimmt diejenigen Menschen nicht ernst, die er zeigen möchte, verkitscht sie mit arrogant-verklärtem (oder verkoksten?) Blick zu Typen, die auf niederträchtige Weise instrumentalisiert werden. Das, was der Film zeigt, ist keine Befreiung, hier entlarvt sich elitäre Aufgeklärtheit als totaltäre Schreckensvision. Es ist dieselbe Befreiung, die der Kommunismus im 20. Jahrhundert über die Menschen gebracht hat. Ein Gespenst kehrt zurück, zum Glück nur im Kino...