Sonntag, 15. Februar 2009

Oben, hinterm Wald


In den letzten Tagen hatte es immer wieder geschneit, ein endloser Winter. Die Leute begannen, sich über den Schnee zu beschweren, als hätte es nie einen solchen Winter gegeben. In den Ortschaften entstanden Labyrinthe. Die Schneeberge rechts und links der Wege wuchsen den Menschen buchstäblich über den Kopf. Dann kam die Sonne und das Licht kristallisierte in den Augen.


Kaiserwetter nennen es die Alten. Es gibt lange keinen Kaiser mehr. Vielleicht muss man hier geboren sein, um zu verstehen, was es heißt, bei minus 5 Grad durch den Wald zu hetzen auf Skiern. Den Geruch nach Schweiß, heißem Tee, Schnaps und Essen, der einem in dicken Schwaden entgegenschlägt, wenn man ein Gasthaus betritt. Es ist eine Form von Glück, die nie über ihr kindliches Stadium hinaus kommt. Es beginnt schon auf den ersten Metern.


Sein Wesen liegt in der Wiederholung. Denselben Weg immer wieder laufen. Die selben Dinge sehen, als wäre es das erste Mal. Schicht für Schicht alle Bilder übereinander legen wie der Schnee, der über Nacht fällt.


Der Schnee war auf den letzten Kilometern unberührt. Keine Spur führte ins Tal. Wir machten uns einen Weg, eine Spur. Krakelig, mit Löchern dort, wo einer von uns in den Schnee fiel. Wie auf einem Palimpsest schrieben wir die Spuren immer wieder neu, mit unsicheren Füßen. Und nach der soundsovielten Wiederholung, kann keiner mehr sagen, wie es wirklich gewesen ist.

Montag, 9. Februar 2009

Sarajevo

Erst nach der Landung erfuhr ich von dem Tunnel, der unter der Piste des Flughafens verläuft und während der Belagerung gebaut worden war. Der Tunnel war Versorgungs- und Fluchtweg, von Hand gegraben. Die Straßenbahnen sind ein Sammelsurium des Ostens und des alten Imperiums, des österreichischen. Die Straßenbahnwagen von Sarajevo sind zum großen Teil verbrannt. Die Doppeltürme standen ebenfalls in Flammen, wie ich auf einem Foto gesehen habe.


Unsichtbar wie der Tunnel durchziehen heute Grenzen die Stadt. Man lebt unter sich und spricht schlecht über den anderen. Bosniaken über bosnische Serben, bosnische Kroaten über Bosniaken undsoweiter. Die nationalistischen Wünschelrutengänger haben Wasseradern aufgespürt, die es früher nicht gab und bestehen jetzt darauf, dass diese Adern das Lebenselixier ihres Volkes sind, aber nicht der anderen. Sarajevo aber lässt sich nicht teilen, zu sehr ist alles miteinander verwoben.


Saraj war der Rastplatz der Karawanen. Es gab und gibt gutes Wasser aus den Bergen. Das Wasser gefror zu Artilleriegeschossen. Das Recht der behaupteten Wasseradern, unterirdisch, unsichtbar für alle, die nicht fanatisch daran glaubten, wurde mit kristallener Härte durchgesetzt.


In den Bergen von Bjelašnica fällt dichter Regen, der die Quellen speist, für die Bosnien berühmt ist. Im Regen scheinen doe Dörfer mit dem Karstgebirge zu verwachsen. Holz stemmt sich gegen Stein stemmt sich gegen Wasser. Die Häuser stehen roh und unverputzt. Die Dörfer waren einmal alt. Jetzt sind sie alterslos, wiederaufgebaut nach dem Krieg, der sie auslöschen wollte. Auch hier zeitigten die eingebildeten Wasseradern der Nationalisten Wirkung. Fünfzig, vielleicht hundert Menschen und ein paar Schafe zuviel. Der Karst ist trügerisch. Das Wasser höhlt den Felsen aus und irgendwann stürzt der Boden ein. Seit Jahrhunderten haben die eingebildeten Wasser des Nationalismus den Boden Bosniens ausgehölt. Zuerst hat es seine zerstörerische Macht an der Landschaft ausprobiert. Es fiel aus schweren grauen Wolken, lief in Sturzbächen über die schlechten Straßen und versickerte im porösen Boden. Dort schürfte, schliff und löste es Steinchen um Steinchen, irgendwann der Boden einstürzte. Die Rattenfänger mit ihren Wünschelruten kamen später und machten es dem Wasser nach. Behaupteten, das Wasser zu kennen. Schürften im Bodensatz der Erinnerung bis dem Land der Boden unter den Füßen erneut einstürzte.


Die Bibliothek von Sarajevo ist bis heute noch nicht wieder aufgebaut. Die Wünschelrute zählt mehr als das gedruckte Wort. Wünschelrutengänger aller Parteien versprechen das lebensspendende Wasser und leiten es auf ihre Mühlen. Die Tunnelgräber unter dem Flughafen gruben ihre Schaufeln in den Boden, in der Gewissheit, dass er sie aufnehmen würde, und dass der Boden Bosniens das Gewicht trägt, dass auf ihm lastet.