Montag, 27. August 2007

Das zwanzigste der »Zwanzig Liebesgedichte und ein verzweifeltes Lied« von Pablo Neruda in einer Übersetzung von mir:

Heute Nacht kann ich die traurigsten Verse schreiben.

Schreiben zum Beispiel: »Die Nacht ist besternt,
und es blinken die Sterne, blau, in der Ferne.«

Der Nachtwind weht durch den Himmel und singt.

Heute Nacht kann ich die traurigsten Verse schreiben.
Ich habe sie geliebt und manchmal hat auch sie mich geliebt.

In Nächten wie dieser hielt ich sie in meinen Armen.
Ich küsste sie so oft unter dem unendlichen Himmel.

Sie liebte mich, und manchmal habe auch ich sie geliebt.
Wie sollte ich nicht ihre großen, auf mich gerichteten Augen lieben.

Heute Nacht kann ich die traurigsten Verse schreiben.
Denken, das ich sie nicht habe. Fühlen, dass ich sie verloren habe.

Die unermessliche Nacht hören, unermesslicher noch ohne sie.
Und die Verse fallen auf die Seele wie der Tau auf die Weide.

Was kümmert es, dass meine Liebe sie nicht bewahren konnte.
Die Nacht ist besternt und sie ist nicht bei mir.

Das ist alles. In der Ferne singt jemand. In der Ferne.
Meine Seele gibt keinen Frieden, weil ich sie verloren habe.

Wie um mich ihr zu nähern, sucht mein Blick sie.
Mein Herz sucht sie, und sie ist nicht bei mir.

Die gleiche Nacht, die die gleichen Bäume erbleichen lässt.
Wir, die wir damals waren, sind nicht mehr die selben.

Ich liebe sie nicht mehr, das ist sicher, doch wie sehr liebte ich sie.
Meine Stimme suchte den Wind um dein Gehör zu finden.

Einem anderen. Sie gehört einem anderen. So wie vor meinen Küssen.
Ihre Stimme, ihr heller Körper. Ihre unendlichen Augen.

Ich liebe sie nicht mehr, das ist klar, aber möglicherweise liebe ich sie.
Die Liebe ist so kurz, das Vergessen so lang.

Denn in Nächten wie dieser hielt ich sie in meinen Armen,
meine Seele gibt keinen Frieden, weil ich sie verloren habe.

Auch wenn dies der letzte Schmerz ist, den sie mir verursacht,
und dies die letzten Verse sind, die ich ihr schreibe.

Donnerstag, 9. August 2007

ilimitada e impertinente

para Eugénia, que daqui a pouco partirá para Guiné. (uma tradução do poema que coloquei em baixo, no post anterior). Ficarei com saudades - tuas e da África. Boa sorte e vai dizendo coisas!

todavia serei
africana
ainda que vocês
queiram
que seja
alemã
e todavia serei
alemã
ainda que
não vos convenha
que seja preta
darei
mais um passo à frente
até ao extremo
onde estão as minhas irmãs
onde estão os meus irmãos
onde
a nossa
LIBERDADE
começa
darei
mais um passo à frente e
mais um passo e
outro
e voltarei
quando quiser
se quiser
ficando
ilimitada e impertinente

May Ayim, filha de pai ghanaense e de mãe alemã morreu hoje há 11 anos.

Grenzenlos und unverschämt

Heute vor 11 Jahren nahm sich die afrodeutsche Dichterin May Ayim das Leben. Sie war Deutsche und sie war schwarz, zwei Eigenschaften, die für viele in diesem Land noch immer in Widerspruch zueinander stehen. An dieser Stelle und zum Gedenken an sie, ihr Gedicht »grenzenlos und unverschämt«:

ich werde trotzdem
afrikanisch
sein
auch wenn ihr
mich gerne
deutsch
haben wollt
und werde trotzdem
deutsch sein
auch wenn euch
meine schwärze
nicht paßt
ich werde
noch einen schritt weitergehen
bis an den äußersten rand
wo meine schwestern sind
wo meine brüder stehen
wo
unsere
FREIHEIT
beginnt
ich werde
noch einen schritt weitergehen und
noch einen schritt
weiter
und wiederkehren
wann
ich will
wenn
ich will
grenzenlos und unverschämt
bleiben

Mittwoch, 8. August 2007

Männer in Anzügen I

Hat jemals jemand stilvoller von der Liebe und vom Schmerz gesungen als Caetano?

Montag, 6. August 2007

Porto in vier Farben IV

Der letzte Teil der Kurzgeschichte, veröffentlicht unter dem Titel »Porto a quatro cores« in: »Viver todos os dias cansa«, Lisboa, Editora Cotovia, 2001, © Pedro Paixão.

Der Portier des Meridien ist ein erstaunlicher Junge, und als ich in Lissabon ankam, schickte ich ihm zum Dank eine Postkarte. Er war es, der mir sagte, wenn ich keine Lust hätte zu schlafen, wäre es am besten, ins »Swing« zu gehen, dass sich gleich nebenan befände und es wäre doch noch früh. Es war ganz und gar nicht früh, aber ich tat genau das, vorsichtshalber nahm ich eine kleine Empfehlung mit, die mir ein Kollege geschrieben hatte, denn ich habe immer Angst, dass man mich an öffentlichen Orten nicht hineinläßt.
Ich sage nichts über das »Swing«, weil ich für den Anfang nicht einmal die portugiesische Übersetzung von ”to swing” kenne - in der Topologie ist das Wort nicht gebräuchlich - und schließlich weil ich einige Treppen hinabstieg, Rui traf, der mich umarmte, als wären wir zusammen aufs »Camões« gegangen, und den Kopf verlor. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich meinen Kopf verlor, und das letzte Mal.

Es war zehn Uhr morgens, als die mathematische Fakultät anrief, um zu fragen, ob ich eine halbe Stunde vor Beginn der Konferenz da sein könnte. Der Vortrag, den ich halten sollte, hatte den Titel: »Über die Grenzen der Beweisführung am Computer am Beispiel des Beweises des Problems der vier Farben«. Es lief sehr gut. Der logische Schluß ist mit anderen Worten weiterhin das logischste Urteil, über das wir verfügen. Ein Teil der Zuhörer folgte teilweise den Schritten, während der andere Teil regelmäßig zustimmend nickte. Kaum hatte ich geendet, stieg eine Frau auf das Podium, genau dort, wo ich stand. Sie streckte mir die Hand hin und stellte sich vor - sie war Assistentin der analytischen Geometrie, dem anderen schönen Verfahren der Musik Gottes, und fragte mich, welches der formale Unterschied zwischen »wahrscheinlich wahr« und »schlüssig bewiesen« wäre. Ich lud sie ein, mit mir einen Tee zu trinken. Zu Hause trinke ich genau einen und einen halben Liter pro Tag, im Ausland variiert es.
Es ist diese Frau, die mit mir auf der Terrasse in Foz sitzt, das Gesicht dem Meer zugewandt, der Wind bläst von vorn und ich liebe diesen Meeresgeruch, der mir sehr außergewöhnlich erscheint, obwohl ich nichts von Ozeanografie verstehe.
Und wenn ich noch etwas sagen wollte inmitten von all dem, dann gestehe ich, dass es mir entfallen ist und ich nicht mehr weiß, was es war. Ich bin eigentlich sehr zerstreut. Es ist mir schon passiert, dass ich nach meiner wöchentlichen Schwimmstunde meine Schuhe mit anderen vertauscht und es erst am nächsten Morgen bemerkt habe. Aber es kann auch nichts so Wichtiges gewesen sein, sonst hätte ich es nicht vergessen.

Was tatsächlich wichtig ist, ist das Problem der vier Farben, und das ist wirklich unvergesslich: Egal, in wie viele Felder eine ebene Fläche geteilt wird, vier Farben genügen, damit keine zwei benachbarten Felder die gleiche Farbe haben.

Freitag, 3. August 2007

Porto in vier Farben III

Aber nicht deswegen liebe ich die Mathematik. Die Mathematik ist die Musik des Himmels, wo die Dinge perfekt sind, komponiert und gespielt von Gott, der sich nicht darüber sorgt, was auf der Welt passiert, der so sehr damit beschäftigt ist, dass die Welt sich ereignet. Das ist meine Religion, wenn man das Religion nennen kann. Aber ich bin schon wieder dabei, abzuschweifen, in diesem Fall – und das ist noch schlimmer – von Dingen zu sprechen, die nur mich und eine glücklicherweise sehr begrenzte Gruppe interessieren. Wenn es nicht so wäre, gäbe es keinen, der sich mit dem Funktionieren dieser von Natur aus unvollkommenen Welt beschäftigte.
Rui Reininho ermunterte mich, noch ein paar Gläser zu trinken, ohne jede Bosheit, eher im Gegenteil. Er stellte mich zwei Mädchen und einem großen, schönen jungen Mann vor und bat mich dann, die beiden Frauen in ihrem Auto zu begleiten, was ich sehr nett fand, um uns woanders, an einem Ort namens »Swing«, wiederzutreffen.
Erst nachdem ich mich auf die Rückbank gesetzt hatte, mit den beiden Mädchen auf den Vordersitzen, und das Auto sich in Bewegung setzte, verstand ich, dass die beiden Mädchen Rui genauso wenig wie ich kannten und nicht ins »Swing« wollten, sondern lieber woandershin, und dorthin fuhren wir. Ich verstand nichts mehr, ein weiterer Hinweis darauf, dass ich im Ausland war. Die Mädchen wollten um zwei Uhr morgens Billard spielen. Seit den seligen Zeiten auf dem Camões-Lyceum, wo ich immer der beste Schüler in Mathematik war, obgleich ich stets von meiner Mutter daran erinnert wurde, dass es sein könnte, dass man der Beste ist, weil niemand anders gut genug ist, habe ich kein Queue mehr angefaßt.
Danach nahm das eine Mädchen das andere mit zu ihrem Auto, sagte mir, dass ich ihr folgen sollte, und ich gehorchte. Ich weiß unendlich mehr von nichteuklidischer Geometrie als von weiblicher Psychologie, wenn das überhaupt etwas ist, was man kennen kann, und legte meine Hand auf ihre. Sie sagte mir umgehend, dass sie mich zu einer Taxihaltestelle bringen würde, und ich sagte nein, ich würde sie bis zur Haustür begleiten und sie sagte, dass es besser wäre wenn nicht. Aber wir gingen, verabschiedeten uns, und ich habe sie nie wieder gesehen in meinem Leben, obwohl ich mich erinnere, dass ich sie sehr attraktiv fand. Nachdem einige Minuten von der Art, die viel verändern, vergangen waren, verstand ich, was sie mit »besser nicht« sagen wollte. In Porto fahren nämlich keine Taxis durch die Straßen. Ich habe vergessen, meinen Freund João zu fragen, warum. Ich weiß nur, dass ich etliche Kilometer zu Fuß gelaufen bin, bis ich mein unverwechselbares »Meridien« fand. Ich ging jedoch nicht auf mein Zimmer, weil ich plötzlich stehenblieb und bemerkte dass ich leicht angetrunken war. Ich habe schreckliche Angst davor, nicht wieder klar zu werden, und Klarheit ist eine unentbehrliche Bedingung für meine Arbeit.

Donnerstag, 2. August 2007

Berlin - bonjour tristesse

Dass der Sommer seinen Höhepunkt überschritten hat, erkennt man uner anderem daran, dass wieder mehr über Fußball gesprochen wird. Der Hauptstadtsportverein Hertha BSC gab sich heute nach längerer Pause wieder einmal die Ehre, die erlauchten Hauptstadtjournalisten zur Pressekonferenz zu laden. Der neue Trainer Lucien Favre wertete die Veranstaltung schon mit seiner Erscheinung auf. Mehr noch allerdings mit knappen und präzisen Antworten, die so gar nicht zu den Kaffeesatzleserfragen der anwesenden Journaille passten. Aber er zog es durch und wechselte sogar, um sich besser ausdrücken zu können, bei einer Frage ins Französische, seine Muttersprache. Pech nur, dass die anwesenden Hertha-Reporter von Bild, B.Z. und Co. keiner fremden Zunge mächtig sind, wie sie unisono und lautstark grölend kund taten. Es handelt sich ja auch nur um Erstligafußball, einen Sport, dessen Internationalisierung weit fortgeschritten ist. Favre, der zuvor im zwar kleinen, aber kosmopoliten Zürich seiner Tätigkeit nachging, bekommt so die nötige Nachhilfe in Sachen Provinzialismus. In der Städteliga spielt Berlin, der Schmelztiegel der Provinz, eben immer noch Kreisklasse.