Mittwoch, 30. Mai 2007

Karneval der Kulturen



Der Karneval stellt die herrschenden Verhältnisse vorübergehend auf den Kopf. In Zeiten absolutistischer Herrschaft konnten die Untertanen für einen Tag Herrscher spielen. Sklaven konnten vorübergehend Sklavenhalter werden. Karnevalistische Elemente gibt es in fast allen Kulturen. Der Karneval der Kulturen trägt diese Tradition ins Zeitalter der Globalisierung. Für einen Tag ausbrechen aus der kosmopolitischen Gegenwart und eintauchen in eine traditionale Kultur, die sich auf der karnevalistischen Bühne präsentiert. Nicht das Zurückkehren zu Traditionen, sondern ihre Re-Konstruktion ist der dritte Weg der Globalisierung, jenseits von Links und Rechts. In Berlin jedenfalls hat der Karneval der Kulturen längst die Mitte der Straße erobert.



Mein Lieblingsbild ist dieses:



Ein neues Outfit für den nächsten Kirchentag? Nur Mut!

Donnerstag, 24. Mai 2007

Gott und die Dattel

Vor einiger Zeit unterhielt ich mich mit M. über die Liebe. Sie sagte mir, dass es ein persische Sprichwort gibt, das heißt: »Man kann nicht Gott und die Dattel haben.«, um hinzuzufügen: »Ich will aber beides.«

Ich habe oft an das Sprichwort und M.'s Bemerkung denken müssen, konnte ihr aber keine kluge Antwort darauf geben. Nicht dass sie eine von mir erwartet hätte, es war mehr eine Feststellung. Hier nun, nach über einem Jahr, meine Antwort:

Die Dattel ist die Gegenwart. Sie zu essen, bedeutet Genuss, ihr Geschmack ist vergleichbar der Lust und sie in den Mund zu nehmen weckt unser Verlangen nach mehr, die Dattel aber ist weg. Es ist ein großes Wagnis, die Dattel abzulehnen und sich für die Liebe zu entscheiden (für nichts anderes steht Gott in diesem Fall). Sie ist Ungewissheit und erfordert doch Gewissheit. Und wer sich auf sie einlässt, der bekommt einen Korb voller Datteln zurück.

Dienstag, 22. Mai 2007

Ein viel zitiertes Zitat eines/einer Unbekannten

»If you love something, let it go, if it comes back to you, it was and always will be yours. If it never returns, it was never yours to begin with.«

Warum schreibt der/die Unbekannte aber von »something« und nicht »somebody«, als wäre die Liebe ein Boomerang?

Freitag, 18. Mai 2007

Illusionen

Ich lese gerade von Paul Auster »Das Buch der Illusionen«. Das Buch ist in blauen Samt gebunden, mit silberner Prägung. Es war auch dieser Einband, der mich neugierig machte. Die Geschichte handelt von einem Stummfilmstar, der auf ungeklärte Weise 1929 verschwindet. Der Erzähler, der Frau und Kinder bei einem Flugzeugunglück verloren und scih aus der Welt zurückgezogen hat, erfährt, das besagter Schauspieler noch am Leben sei und ihn gerne kennen lernen möchte. Es geht in dem Roman nicht, wie man meinen könnte, um die Illusion des Kinos, das wäre zu banal. Es geht um die unzähligen kleinen und großen Illusionen, denen wir uns im Laufe des Lebens hingeben. Da ist die Illusion des Lebens selbst, dass nie zu Ende geht. Gestorben wird sehr viel in der Geschichte. Und es geht vor allem um die Illusion der Liebe. Nicht dass die Liebe selbst eine Illusion wäre - es wird auch viel und wahrhaftig geliebt in dem Buch. Es geht vielmehr um die Illusionen, die sich Menschen von der Liebe anderer machen - meist von der Liebe derer, die sie selbst lieben. Ein Bild der Liebe, dass mir dabei in den Sinn kommt: ein zäher Hund. So ein Tier kann ein treuer Begleiter durch Höhen und Tiefen sein, es kann viel durchmachen, weil es schon einiges erlebt hat. Auf andere wirkt er vielleicht nur wie ein Straßenköter, den man aus Mitleid nicht verstößt.

Nachtrag zu Paul Auster und dem »Buch der Illusionen«: Hier wird am Ende auch illusionslos geliebt, bis zum nahen Tod. Dazu musste sich der Held des Buches aber erst von allen Illusionen befreien. Er musste sich selbts verleugnen, ein Anderer werden. Als Phantom lebte er außerhalb der Welt um ihn herum, genau so, wie in seinem letzten Film. Erst als er wieder beginnt zu lieben und geliebt wird, kehrt er in seine wirkliche Identität zurück, nimmt seinen alten Namen wieder an. Mit seiner Frau zieht er sich zurück aus der Welt, aber nicht um sich zu verstecken, sondern um er selbst sein zu können. Die Liebe, so stellt sich am Ende heraus, ist keine Illusion, nur die Vorstellungen, die wir uns von ihr machen sind illusorisch.

Dienstag, 15. Mai 2007

Das Reich der Liebe



Dieser Tage ist mir beim Aufräumen eine alte Karte wieder in die Hände gefallen… So beginnen Geschichten aus der Zeit, als es noch weiße Flecken auf der Landkarte gab und die auch die sie umgebenden Geheimnisse. Bei der abgebildeten Karte handelt es sich aber nicht um eine Schatzkarte, es sind noch nicht einmal Wege eingezeichnet. Sie verweist auch auf keinen geheimen Ort, den es zu erreichen gilt. Dieses Reich liegt tief in uns, im Unbewussten und das, was daraus an die Oberfläche des Bewusstseins dringt, sieht oft ganz anders aus, als der Kartenzeichner es hier darstellt.
Wie gesagt, diese Karte nützt Keinem, der mit ihr die Liebe sucht - diese Vorstellung von der Nützlichkeit der Karten, die Koordinaten und Orientierung liefern, stammt aus einer rationalen Zeit. Das Reich der Liebe entspricht eher den frühen Karten der Entdecker, die sie mit Phantasie zeichneten und mit dem Schauder des Unbekannten versahen - des ewig unbekannten wohlgemerkt, das sich jeder Entdeckung entzieht.

Donnerstag, 10. Mai 2007

Autobahn in die Provinz



Meine gestrige Reise in die Provinz endete vor dem oben abgebildeten Kraftwerk. Quer über die Straße verlief ein Erdwall, es ging einfach nicht weiter. Zuvor war ich über eine nahezu fahrzeugleere Autobahn gefahren. Daraus auf eine fast menschenleere Gegend zu schließen, ist wohl nicht zu gewagt. Die ostdeutsche Provinz besticht vor allem durch die Abwesenheit junger Menschen. Die Orte wirken so surreal wie aus einem Kaurismäki-Film, die Menschen ebenso. Das einzig Erhabene war das Kraftwerk inmitten grüner Rapsfelder. Auf der Rückfahrt über die verwaiste Autobahn ging mir das gleichnamige Kraftwerk-Lied durch den Kopf. Elektropop, der gut zur deutschen Provinz passt: ein Bruch mit der Tradition, der sie als Hyperrealität neu erschafft.

Mittwoch, 2. Mai 2007

Die Revolution ist ein Barbecue

1. Mai in Kreuzberg. Rauch liegt in der Luft. Hier und da riecht es nach verbranntem Fleisch. Pflastersteine werden feilgeboten, die echten, die schon 1987 ihren Dienst getan haben. Die Masse wälzt sich durch die Oranienstraße. Bei Sonnenunterg, die Temperaturen sinken merklich, heizt eine Altherrencombo mit weiblicher Unterstützung den Leuten noch mal so richtig ein. Der Name der Band: »Ton, Steine, Scherben«. Die Barbecuedichte an diesem Tag ist nach vorsichtiger Schätzung die höchste jemals gemessene. Sie dürfte sogar noch weit über der von Thüringen im Sommer liegen. Von multikultureller Grillgesellschaft ist dagegen wenig zu riechen und schmecken. Köfte dominiert deutlich über Nackensteak und vereinzelte Bratwürste. Einzig der Jamaica-Jerk-Chicken-Stand steht einsam wie ein Leuchtturm dazwischen. Bei den Getränken steht es 1:1 Deutschland gegen Brasilien. Die Becks-Elf schlägt sich wacker gegen die Caipirinha-Selecção. Apropos schlagen: Richtig geprügelt wurde auch wieder am späten Abend, was mich zu dem Schluss veranlasst, dass die Linke leider nicht klüger geworden ist in den vergangenen 20 Jahren. Das ist umso tragischer, da die Rechte immer cleverer in Erscheinung tritt. Wer gestern mit offenen Augen durch Kreuzberg lief, konnte auch dort den ein oder anderen Autonomen Rechten erkennen, der sich mit Palästinenser-Tuch, Che Guevara T-Shirt und langen Haaren unter die Menge gemischt hatte. Die rechten Gesinnungszeichen musste man in diesem revolution Sammelsurium schon genau suchen. Wenn die Linke nicht schnell aufwacht, wird sie auf diese Weise von rechts unterwandert. Viele linke Standpunkte wie Antikapitalismus und Antiglobalisierung werden von den Rechten schon seit langem vertreten. Auch hat sich die autonome Linke immer als tendenziell intolerant und gegen eine offene Gesellschaft gerichtet gezeigt. Anthony Giddins Analyse der postmodernen Gesellschaft »Jenseits von Rechts und Links hat diese Entwicklung bereits in den 90-er Jahren vorausgesagt. Giddins schreibt darin auch, was viele Linke ungern hören wollen: konservatives und fundamantalistisches Denken findet sich heute eher an den Rändern des politischen Spektrums - sowohl links als auch rechts. Die ehemalige Avantgarde (wenn sie es denn je war), wird inzwischen sogar von den ewig Gestrigen überrollt…