Mittwoch, 1. Juli 2009

Eine beschämende Analyse der deutschen Außenpolitik

Henryk M. Broder schreibt auf spiegel online über die deutschen Reaktionen auf den Freiheitskampf in Iran. Dass die Linke in Deutschland krude Ansichten zu autoritären und totalitären Regimen hat, ist nichts neues, ihre Sympathien für alles, was unter der Fahne des Antiimperialismus daher kommt, sind hinlänflich bekannt. Beschämend ist dagegen das Nichthandeln der Bundesregierung. Freiheit und das Streben nach ihr, so scheint es, ist in diesem Land nur dann wertvoll, wenn es um die eigene geht. Diese Bigotterie zeigte sich auch in einigen Kommentaren, die die Sympathien für Proteste der Opposition stets in einem Atemzug mit der Besorgnis um das iranische Atomprogramm nannten. Ein Reflex, der der Opposition schadet und zugleich unangebracht ist. Die Proteste in Iran richten sich gegen ein menschenverachtendes Regime, nicht gegen ein Atomprogramm, das womöglich zum Bau nuklearer Waffen dienen soll. Diese Proteste und das Freiheitsstreben in Iran uneigeschränkt zu unterstützen, verlangt von der Politilk auch, sich - vorübergehend - in der Frage des Atomprogramms zurückzuhalten und mit allen Mitteln - auch diplomatischen und wirtschaftlichen Sanktionen - die Freiheitsbewegung zu unterstützen.

Donnerstag, 18. Juni 2009

Iran kämpft gegen den Diktator


Die Rangliste, die diese Frau aufstellt, mag gewagt sein, doch in dem Vergleich liegt viel Wahres. Ahmadinedschad ist kein islamistischer Fanatiker, sondern ein skrupelloser Diktator. Die Feinde, die er beschwört, dienen vor allem einem Zweck: Das iranische Volk einzuschüchtern und seine Macht zu festigen. Auch die Nazis haben die Chimäre des äußeren Feindes benutzt, um Gewalt gegen Andersdenkende zu rechtfertigen. Damals waren es die Juden und der Bolschewismus, bei Ahmadinedschad sind es der Westen und Israel. Die Ereignisse in Iran zeigen, dass Ahmadinedschad seine Feindbilder vor allem zu dem Zweck braucht, um gegen sein eigenes Volk vorzugehen.
Der „wahre Islam“, auf den er sich beruft, ist wertlos, weil er sich nur in der Ablehnung alles Westlichen zeigt. Das vermeintlich Westliche jedoch, ist nichts anderes als ein aufgeklärter, säkularer Lebensstil, den die Mehrheit der Iraner, vor allem in den Städten, schon seit Jahrzehnten pflegt. Er ist weder westlich noch östlich, sondern kosmopolitisch mit seiner jeweils besonderen Ausprägung. Dieser Lebensstil war auch den Nazis verhasst und wurde von ihnen bekämpft.
Eine weitere Parallele ist die Herkunft Ahmadinedschads. Er entstammt eben jenem kleinbürgerlichen und kleinstädtischen Millieu, das auch den Nazis ein fruchtbarer Boden war. Mit Begeisterung zog er in den iranisch-irakischen Krieg wie jene in den ersten Weltkrieg. Aus diesem Krieg zurückgekehrt, benutzte er seine nationalistische, antimoderne Ideologie, um damit in dem Milieu, aus dem er stammt, auf Stimmenfang zu gehen.
Die Herrschaft Ahmadinedschads mit der der Nazis zu vergleichen, ist daher richtig und zulässig. Möge sie bald und ohne weiteres Blutvergießen zu Ende gehen.

Sonntag, 31. Mai 2009

Sonderangebot

Das Bordell in meiner Straße hat seit einigen Tage einen Zettel im Fenster. Darauf wird "1 Flasche Sekt (Piccolo) gratis ab 1 Stunde" offeriert und zweideutig gefragt "...oder darf es etwas mehr sein?". Zweideutig, weil nicht klar wird, ob damit Sekt oder Sex gemeint ist. Ein Piccolo jedenfalls ist eher etwas für den hohlen Zahn. Eine Stunde Sex wiederum kann im Handumdrehen vergehen oder sich endlos ziehen wie ein ausgekauter Kaugummi.

Nicht klar ist auch, ob das Angebot ein Zeichen der großen Krise ist oder ob es sich um eine normale Aktion handelt.

Sonntag, 10. Mai 2009

Luis de Camões - Sonett

Übersetzung aus dem Portugiesischen

So sehr bin ich in meinem Dasein verunsichert,
Dass ich bei lebendiger Hitze zittere vor Kälte;
Ich grundlos zugleich weine, lache;
Die Welt umfasse und nichts in den Händen halte.

Alles, was ich fühle, ist Verwirrung,
Meiner Seele entfährt Feuer, meinem Blick ein Fluss;
Jetzt hoffe ich und jetzt verzweifle ich,
Jetzt phantasiere ich und jetzt begreife ich.

Bin ich auf der Erde, fliege ich in den Himmel;
Eine Stunde sind mir tausend Jahre, so wie
Ich keine Stunde finde in tausend Jahren.

Fragte mich jemand nach dem Grund für alles das,
Ich antwortete: Ich weiß es nicht, jedoch
Vermute ich, weil ich Euch, meine Dame, sah.

Mittwoch, 29. April 2009

Vida tradicional

A camioneta em que viagava parou. Ia do Santo da Serra ao Funchal. Choviscava e fazia frio, embora já fosse Maio. Um dia cinzento, com nuvens baixas, quase à distância de mão. O casal entrou. Eram turistas. Ela sentou-se na bancada à frente da minha, ele dirigiu-se ao motorista e pediu, num inglês germânizado, dois bilhetes. Parecia um arbutre, era alto, magro e curvado. Estava, tal como ela, na casa dos sessenta. Depois sentou-se na bancada à frente dela. A camioneta arrancou, devorando curva atrás curva no seu percurso. Ele virou-se e pergunto-a se tinha os walking sticks. Ela tinha os seus, mas não os dele. Tinham ficado, estas bengalas pós-modernas, ao pé da paragem onde eles tinham entrado. Ele começo a argumentar com ela. - Tú é que as tinhas antes de entrarmos na camioneta. - Tinha as minhas, respondeu ela, deves ter-te esquecido delas na paragem. Ele deu um salto para frente, gritando - Stop! Stop! You must stop! Ela também levantou a sua voz e explicou a cena absurda - He forgot his sticks, please stop. Sorry.
O motorista parou a camioneta, abriu a porta e o homem saiu. Voltou, com as bengalas na mão e entrou sem dizer palavra. - Thank you, disse ela ao motorista. A camioneta arrancou e os dois continuaram a argumentar sobre quém era responsável pelas bengalas dele. De vez em quando, espreitava-se em baixo a bahia do Funchal. Era domingo e os homens da ilha vestiam fatos e chapeus, as mulheres vestidos e mantas. Iam às compras, à igreja, beber um copo. A vida na ilha é muito tradicional, diz-se.

Samstag, 25. April 2009

Der Anfang der Geschichte

Das ist also der Anfang einer Geschichte, die ich vor Jahren einmal begonnen habe zu schreiben. Ich habe keine Ahnung, wie es weitergeht und freue mich auf Ideen und Vorschläge! Bitte als Kommentar posten und sobald mir ein Vorschlag gefällt, schreibe ich das nächste Kapitel.

Es gibt Geschichten, bei denen das Ende schon lange bekannt ist, und trotzdem müssen sie erzählt werden, denn sonst wäre die Geschichte nie passiert. Sie wäre wie ein Blume, die umsonst blüht, nur weil eine eitle Biene sagte: “Kenn ich schon.”
Eine solche Geschichte will ich erzählen, und das Ende davon ist euch allen bekannt.
Wem jetzt schon die Lust am Weiterlesen vergangen ist, der möge wieder der Welt zuwenden, aber es ist nun einmal die Aufgabe der Geschichtenerzähler, Geschichten zu ihrem Ende zu führen, das sie von selbst nicht finden können. Nicht weniger schwierig verhält es sich mit dem Anfang. Eigentlich gibt es ihn nämlich gar nicht. Zu jedem Anfang ließe sich leicht noch etwas finden, was davor liegt und damit das gleiche Recht besitzt, als Anfang bezeichnet zu werden. Umgekehrt hat es wenig Sinn, erst kurz vor dem Ende zu beginnen, dann wäre die Geschichte unverständlich und allein ihr Erzähler und einige wahrhaftige Hellseher unter den Zuhörern könnten etwas mit ihr anfangen. Soviel also zum Anfang einer Geschichte. Und da es nun also so schwer ist, den wahren Anfang einer Geschichte zu bestimmen, nehmen wir den einzig möglichen, universellen und wahrhaftigen Anfang aller Geschichten: Es war einmal…
Es waren einmal zwei Kinder, eines davon ein Sonntagskind, das andere wußte nicht so genau, an welchem Wochentag es zur Welt gekommen war. Das spielt aber, wie jeder weiß, außer für die Sontagskinder, auch keine Rolle. Noch nie wurde einem Montagskind sein Geburtstag zur Bestimmung. Kein Dienstagskind wurde ja dafür geadelt und keinem Mittwochskind wurde sein Schicksal zum Verhängnis. Das gleiche lässt sich von Donnerstags-, Freitags- und Samstagskindern sagen. Es spielt keine Rolle, an welchem Tag man geboren wird, außer wenn es an einem Sonntag war. Das Sonntagskind und das gewöhnliche Knd lebten beide in den Bergen im finsteren Wald, jedes für sich bei seiner Familie. Es waren natürlich nicht dieselben Berge und derselbe Wald, aber davon wußten sie nichts. Für sie gab es nur ihren Wald und ihre Berge. Sie kannten nicht die große Ebene mit Flüssen, die hinter dem Wald des einen und dem des anderen lag. Von der noch viel größeren Wüste und dem unermeßlich großen Ozean, von denen man sagte, dass sie den größten Teil der Ebenen umschlossen. Auch wussten sie nicht, dass der Bach aus dem Wald irgendwo in einen großen Fluß mündete und dass dieser Fluss sich schließlich am Ende seiner Reise ins Meer ergoss. Alle Wege, die sie gingen, führten in den Wald hinein und an derselben Stelle oder unweit davon wieder heraus.

Als die beiden Kinder älter wurden, verließen das Sonntagskind und das Kind, das nicht wusste, an welchem Tag es geboren wurde, ihr elterliches Haus. Vor dem Sonntagskind verneigten sich die Leute und brachten ihm Geschenke und bewirteten es, wie es so üblich ist mit Sonntagskindern. Auch als das Sonntagskind längst kein Kind mehr war, riefen es die Leute Sonntagskind. Seinen Namen kannte außer ihm selbst keiner, und wenn es ihn benutzte war es, als redete es von jemand anderem. Als es eines Tages seine Siebensachen packte, um weiterzuziehen, trat es auf den Platz vor der Pension, wo im Schatten einer Platane die Tische um einen Brunnen standen, und legte seinen Namen ab. Mit einem großen Stein beschwert legte es ihn auf dem Brunnenrand ab. Keiner der Gäste hatte etwas bemerkt, und als das Sonntagskind einen Abschiedsgruß in die Runde warf, riefen alle - Lebwohl Sonntagskind, wie gewöhnlich. Ein Mann namens Barriga, der von Zeit zu Zeit mit seinem Auto auf dem Platz anhielt, um in der Nachmittagssonne ein Bier und einen Kaffee zu trinken, fand den Stein und den Namen des Sonntagskindes. Er versenkte den Stein im Brunnen und nahm den Namen an sich und verwahrte ihn im Handschuhfach seines Autos. Barriga trug stets einen schwarzen Anzug, einen schwarzen Hut und braune, gelochte Ziegenlederhandschuhe in der Art früher Automobilisten. Überhaupt hatte er etwas Altmodisches, er bewegte sich auf altmodische Art und Weise und benutzte beim Sprechen altmodische Wörter. Die Ziegelederhandschuhe knöpfte er jedesmal auf, wenn er aus dem Auto ausstieg, zog sie aus und legte sie in das Handschuhfach des Wagens, denn alle Dinge müssen ihrem Namen gerecht werden, sonst taugen sie nichts, behauptete er. Als er die Handschuhe wieder anzog, legte er nun den Namen des Sonntagskindes ins Handschuhfach seines Wagens und wurde zum ersten Mal, seit ich mich erinnern kann, seinem Grundsatz untreu, das ins Handschuhfach ausschließlich Handschuhe gehören. Dieser Umstand sollte später noch bedeutsam werden, doch daran dachte Barriga in diesem Moment nicht. Mit den behandschuhten Fingern tippte er an seinen Hut, schob seinen gewaltigen Bauch hinter das Lenkrad und fuhr davon. Barriga bewohnte ein Haus irgendwo zwischen der Stadt und der nächsten. Ein Feldweg führte im rechten Winkel von der Straße zu seinem Haus, neben dem sich ein Windrad erhob, denn das Haus befand sich in der Nähe der Küste und das Windrad hatte aursreichend zu tun. Das Windrad hatte übrigens auch einen Namen, den Barriga ihm gegeben hatte. Es hieß Don Quixote, aber das nur am Rande, denn das ist eine andere Geschichte.

Das Kind, das nicht wusste an welchem Tag es geboren wurde, kam auf seinen Wanderungen auch an jene Küste, ohne von Don Quixote und dem einsamen Haus Barrigas Notiz zu nehmen. Sein Weg hatte es von dem elterlichen Haus durch den Wald, die Ebene, vorbei an der Wüste bis hierher geführt. Aus dem Kind war ein Jüngling geworden. Unter den wenigen Sachen, die er mit sich führte, gab es eine, die ihm besonders wertvoll war, ein Bild, auf dem ein Mann zu sehen war, genauer gesagt der Schatten eines Mannes, den dieser selbst fotografiert hatte. Auf einem staubigen Weg wuchsen zwei riesige Beine empor, die in einen kleinen Rumpf und dieser wiederum in einen noch kleineren Kopf mündeten. Auf der Rückseite stand in sauberer Handschrift:
“So lange meine Schmerz geplagten Augen sehen, werde ich nicht vergessen, dass in der Mitte des Weges ein Stein lag.” Das Bild und die Worte hatte ihn gerührt, weil sie ihn an seine eigene Verzweiflung erinnerten, die ihn von Zeit zu Zeit überkam und die ihm im Laufe der Jahre zu einer treuen Begleiterin geworden war. Er trug das Bild mit sich, ohne zu wissen, ob er nun den Mann suchte, dessen Schatten darauf zu sehen war, und der wahrscheinlich auch diese Zeile geschrieben hatte, oder ob er den Stein suchte, der in der Lage war, einen Menschen so zu erschüttern, dass er ihm diese Zeilen widmete.
Eines Tages kam der Jüngling an das Ende, ohne sein Ziel erreicht zu haben. Es hatte sich schon lange angekündigt, immer felsiger wurde der Untergrund und am Horizont färbte sich der Himmel erst purpur, dann violett und schließlich war es fast ganz dunkel. Nur die hellen Steine des Weges leuchteten noch ein bißchen und führten den Jüngling weiter. Um ihn herum war bereits alles Leben verschwunden. Er machte große Schritte, so groß wie seine Angst, und dabei bemerte er nicht, wie die Pflanzen und Tiere um ihn herum immer weiter zurückblieben. Zuletzt stellten sich ihm nur noch die finsteren Ginsterbüsche in den Weg, und warnten ihn mit raunender Stimme, nicht weiterzugehen. Und dann ging es wirklich nicht mehr weiter. Der Jüngling stand auf einer Klippe aus spiegelblankem schwarzen Stein, unter ihm brodelte und toste genauso schwarz und glitzernd wie tausend Spiegelscherben das Meer. Er wurde darüber so unglücklich, daß er sich auf der Stelle in das schwarze Wasser stürzen wollte und hoffte, dabei von den Klippen aufgespießt zu werden. Während er solchen Gedanken nachhing, glaubte er, aus dem Rauschen unter sich eine Stimme zu hören. Er unterbrach seine verzweifelten Überlegungen und horchte in den Lärm hinein, den die Brandung verursachte. Wieder hörte er die Stimme rufen, und jetzt verstand er sie auch:
-Lass Leine nach! Gib mehr Leine, sag ich, du Depp, sie haut sonst ab!
Seine Augen hatten sich während seiner Wanderung an die Dunkelheit gewöhnt, aber so sehr er auch spähte, er konnte am Fuß der Klippe, von wo die Stimme gekommen war, nichts erkennen. Dafür sah er eine Leine aus dem Wasser aufsteigen, die wie eine Saite gespannt war und über seinem Kopf in die Wolken führte.
An ihr ließ er sich vorsichtig hinab, nachdem er ihre Festigkeit geprüft hatte.
-Stricke sind zum Klettern da, dachte er, und vielleicht braucht dort unten jemand meine Hilfe. Aber auch als er schon dicht über der Wasseroberfläche hing, konnte er niemanden sehen. Zumindest hatte ihn die Leine davor bewahrt, von der Klippe zu springen (Soweit dachte er in diesem Moment natürlich nicht, aber um der Geschichte willen sei es hier noch einmal erwähnt). An der Leine über dem Wasser hängend, suchte er zwischen den Felsen nach der Ursache der Stimme. Nichts. In diesem Augenblick schoss neben der Stelle, an der die Schnur ins Wasser tauchte, eine Hand heraus, eine riesige Hand, die ihn packte und in die Tiefe zog. Merkwürdigerweise kam es ihm so vor, als wäre die Sonne durch die Wolken gekommen. Unter Wasser war es ruhig und heller als draußen. (Es handelte sich hier um eine Sinnestäuschung, wie sie sicher jeder schon einmal erlebt hat, der an einem wolkenverhangenen Tag ins Meer gesprungen und untergetaucht ist. Der Jüngling hatte jedoch keine Zeit, an solche Dinge zu denken, was in anbetracht seiner Situation nur zu verständlich ist. Natürlich war es noch genauso bedeckt und die Wolken genauso schwarz wie zuvor.) Auf dem Meeresgrund wiegte sich Seetang in der leichten Strömung wie unreifes Getreide auf dem Feld. Auf einer Lichtung stand ein Mann, es war der Riese, zu dem die Hand gehörte, die den Jüngling gepackt hielt, in der anderen hielt er eine Angelrute, von der die Schnur weglief, die der Jüngling seinerseits noch umschlossen hielt. Neben dem Riesen stand ein zweiter, genausogroß und genausoalt, überhaupt sah er aus wie das Spiegelbild des anderen, und hielt in der einen Hand ein Messer und in der anderen eine mit Luft gefüllte Tüte. Als dieser den Jüngling sah, sagte er:
-Da haben wir uns den falschen geangelt. Lass ihn wieder hoch.
Der Jüngling hatte in seiner Angst bis hierher die Luft angehalten, jetzt wurde sie ihm allerdings langsam knapp, und er bekam noch größere Angst zu ertrinken.
-Nimm erst mal einen tiefen Zug, sagte der mit der Tüte und hielt sie ihm hin, was machst du dich auch an unserer Schnur zu schaffen, die gar nicht für dich da hängt?
Der Jüngling antwortete nicht gleich, und so fügte er hinzu:
-Kannst ruhig mit uns reden. Bei uns ist es üblich, sich zu unterhalten. Wir sind nicht wie ihr, die ihr allein beim Angeln rumsitzt ohne ein Wort zu verlieren.
Endlich nahm der Jüngling seinen Mut und seine Luft zusammen und blubberte los:
-Sie angeln hier?
Kopfnicken.
-Und was, wenn ich fragen darf, angeln sie? Sie brauche sich die Fische doch nur zu greifen.
Die beiden Riesen brachen in schallendes Gelächter aus. (Natürlich schallt Gelächter unter Wasser nicht, aber die Redewendung gab es auch bei den beiden Alten.)
-Denkst du wir fangen Fische? Hohohoahaha…
Wir angeln da oben, du Depp, und sie zeigten dorthin, wo der Himmel war.
-Was gibt es denn da zu angeln, fliegende Fische?, getraute sich der Jüngling zu fragen. Das gab ihnen den Rest, sie konnten sich kaum mehr einkriegen.
-Flihihihihihihihi…Fihihihhihihihihi… Meinst du wir warten, bis die Fische abheben, um sie dann aus der Luft zu angeln? Würdet ihr etwa ein Wildschwein erst in die Luft werfen, um es dann aus dem Flug zu erwischen? Wir angeln, was halt so kommt, Fledermäuse, Elstern, Möven. Keine Fliegenden Fische.
-Und, beißen sie?
-Na, ja, ich hatte gerade einen fetten am Haken, als du dran gezogen hast, der ist mir jetzt natürlich durch die Lappen gegangen.
Der Jüngling nahm einige tiefe Züge aus der Tüte und schien sehr intensiv über etwas nachzudenken.
-Dann sind sie also Luftfischer?
-Ganz recht.
-Und womit äh…fischen sie?
-Dummerchen, mit Würmern natürlich, wie ihr auch. Oder was, meinst du, fressen Vögel? Denkst du hier ist alles anders?
-Da haben sie wohl recht.
Der Jüngling wäre jetzt, trotz der guten Versorgung mit Luft, gerne zurück an die Oberfläche geschwommen, aber die Alten schwatzten gerne und hatten noch viel zu erzählen. So einen Besucher gab es nicht alle Tage.
-Wir hatten dich schon eine Weile beobachtet. Archibald hat gewettet, dass du springst, ich habe dagegengehalten.
-Und wer von ihnen hat jetzt gewonnen?
-Blaumann natürlich, sagte Archibald, schließlich habe ich dich runtergezogen, damit du mir die Schnur nicht kaputt machst. Aber das lasse ich mir lieber ne Pulle Rum kosten, als dass nachher mein bester Flughaken futsch ist. (Wer hier Zweifel anmelden sollte, daß Rum trinken für Bewohner des Meeres eine unangebrachte Beschäftigung sei, dem sei entgegnet, dass Unterwassertrinken genauso verbreitet ist wie Überwasserrauchen, was wohl ungefähr auf das gleiche hinausläuft.)
-Gehen ihnen denn sonst niemals Menschen an den Haken?, fragte der Jüngling.
-Selten. Deshalb angeln wir nur an Stellen, wo kaum jemand vorbeikommt. Was hattest du eigentlich an der Ende-der-Geschichten-Klippe zu suchen? Das ist kreuzgefährlich.
Der Jüngling erschrak, weil er noch vor wenigen Augenblicken tatsächlich an das Ende gedacht hatte.
-Ich wusste nicht, dass das hier das Ende ist, ich habe mich verlaufen.
-Du wirfst hier mir Worten um dich, von denen du anscheinend nicht die leiseste Ahnung hast. Außerdem sagte ich Ende-der-Geschichten-Klippe, nicht Ende-von-Allem-Klippe. Das ist ein Unterschied.
-Welche Geschichte geht denn hier zu Ende?, wollte der Jüngling wissen.
-Jede Geschichte, antwortete Archibald, alle Geschichten gehen hier zu Ende. Aber das ist nicht weiter schlimm. Schlimmer ist, für euch Luftwesen jedenfalls, dass über der Klippe und der ganzen Gegend hier ein böser Zauber liegt. Deshalb wirkt dort oben alles so düster und bedrohlich, und es traut sich kaum noch ein Mensch hierher. Geschichtenerzähler aber sind schließlich auch nur Menschen, und es ist ihre Pflicht, jede Geschichte, die sie erzählen, bis zum Ende zu führen, zur Ende-der-Geschichen-Klippe. Das is aber schon lange nicht mehr passiert.
Zuerst waren wir froh darüber, denn so konnten wir hier in Ruhe angeln, aber inzwischen macht uns diese Finsternis schon selber zu schaffen.
Der Jüngling hatte den Worten Archibalds zugehört. Jetzt wurde ihm mal wieder die Luft knapp und er schnappte sich eine frische Tüte. Am meisten beschäftigte ihn die Frage, was wohl hinter dem Ende-der-Geschichten-Klippe kommen würde. Hatte der Alte nicht gesagt, daß alle Geschichten hier zu Ende gingen? Was konnte also dahinter kommen? Er stellte sich die schrecklichsten Dinge vor: geschichtenfressende Ungeheuer, einen gefährlichen Geschichtenstrudel, der alles, was jemals erzählt worden ist, in sich hineinzog und vermischte, so dass niemand mehr die Geschichten auseinanderhalten konnte. Am furchtbarsten aber war die Vorstellung, dass es hinter der Klippe einfach Nichts mehr gab.
-Ist dir nicht gut? War vielleicht die Luft in den Tüten verdorben, oder warum bist du so grün im Gesicht?, fragte Blaumann. Er hieß übrigens so, weil er bis jetzt nie etwas anderes als solch ein Kleidungsstück getragen hatte, und dies wohl auch nie tun würde. Allerdings ähnelte er mehr einem Seelöwen als einem Klempner, einem Seelöwen, den man in einen Blaumann gesteckt hatte.
Er öffnete eine Tüte und roch an den aufsteigenden Blasen.
-Bisschen abgestanden vielleicht, aber nicht schlecht.
-Wa…wa…was ko…ko…ko…mmmm…tttt na…ha…ha…haach…de…em…En…?
Der Jüngling stotterte nicht etwa, er hatte nur vergessen Luft zu holen. Das rächte sich jetzt, als er die alles entscheidende Frage stellen wollte.
-Was?
-Nach dem Ende meine ich, was kommt da?, fragte er Jüngling, der sich etwas erholt hatte.
-Nach dem Ende kommt gemeinhin der Tod, falls du das meinst. Hinter der Klippe aber, wenn du die meinen solltest, kommt natürlich das Meer.
-Was für ein Meer?
-Das, in dem wir sitzen.
-Und die Geschichten, fallen die ins Meer und gehen unter?
-Na, ein paar von ihnen sind schon abgestürzt. Aber das lag mehr an ihren Konstrukteuren. Normalerweise treiben sie darüber weg wie Wattewölkchen.
-Aber dann? Wohin treiben sie?
-Nun, das liegt ganz bei ihnen. Die Geschichte wird ja freigelassen am Ende-der-Geschichten-Klippe, sie kann jetzt tun und lassen, was sie will. Der Geschichtenerzähler, der sie wie ein Hündchen an der Leine herumgeführt hat, lässt sie hier frei. Früher kamen die Zuschauer in Scharen, um das Ende einer Geschichte mitzuerleben, aber seit die Stelle mit dem bösen Fluch belegt ist, finden keine Feste mehr statt, mit denen man den Geschichten ihre Freiheit zu geben pflegte. Seit der Zauber wirkt, hat sich kein Geschichtenerzähler mehr hierergewagt, aus Angst davor, dass aus einer Liebesgeschichte plötzlich eine Gruselgeschichte wird, oder dass seine friedliche Geschichte plötzlich ein Blutbad anrichtet. Weil es aber nie jemand ausprobiert hat, weiß auch keiner, was genau passiert, wenn man eine Geschichte an diesen verzauberten Ort führt. Es gibt auch die Pragmatiker, die nicht na bösen Spuk glauben und behaupten, die Geschichten würden einfach ins Meer stürzen und weiter nichts passieren. Einige meinen sogar, dass die Geschichten wie eh und jeh aufsteigen und davonziehen und man sie durch die Wolken nur nicht sehen kann.
-Hat denn wirklich nie jemand versucht, eine Geschichte hierher zu bringen und sie freizulassen?
-Nie. So wahr ich Blaumann heiße und das mein Zwillingsbruder Archibald ist. Und uns ist es in der ganzen Zeit ziemlich langweilig geworden. Donnerwetter, was haben wir uns den Mund blasig geredet über die Geschichtenungetüme, die da oben so vom Stapel gelaufen sind. Manchmal konnten wir richtig froh sein, daß uns der Himmel nicht auf den Kopf fallen kann, mit all der Liebe und dem Blut und der Rache und alles hübsch garniert mit eurer Rhethorik.
-Aber sie haben sie gesehen?
-Gesehen und das hat uns gereicht.
Dem Jüngling war ein neuer Gedanke gekommen, den er sich nun bemühte zu formulieren. Das Sprechen unter Wasser erforderte einige Konzentration für einen, der es nicht gewöhnt war.

Freitag, 24. April 2009

Unter Wasser atmen

Vor Jahren hatte ich einmal begonnen, die Geschichte einer Gegenwelt zu schreiben, ein Märchen, das unter Wasser spielte. Nein, es handelte sich nicht um ein Plagiat von Jule Vernes "Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer". Meine Wasserwelt war voll von Menschen wie du und ich, die dasselbe taten wie du und ich. Sie angelten zum Beispiel, wobei sie ihre Angeln in die Luft warfen, denn die Luft war ja ihre Gegenwelt. Wenn sie tagträumten, schauten sie auf die Luftoberfläche, die sich über ihren Köpfen spannte. Oben, das war für sie Himmel und Abgrund zugleich.
Eines Tages erwischen sie aus Versehen mit ihrer Angel einen jungen Mann. Aus dieser Begegnung entspinnt sich ein Gespräch. Ungefähr an dieser Stelle habe ich aufgehört weiterzuschreiben. Bis mir heute morgen die Idee kam, in den real existierenden Gegenwelten nach einer Fortsetzung der Geschichte zu fischen.

Bald mehr dazu an dieser Stelle...

Donnerstag, 26. März 2009

Patchworkfamilie

In der Literaturwerkstatt ging es um "Deutsch als Fremdsprache". Eigentlich aber ging es darum, in welcher Sprache die Sprache zu uns spricht. Die Muttersprache ist ebenso ein Konstrukt wie das Vaterland. Metaphern aus eine Zeit, die, wie Peter Handke es ausdrückt, ein Märchen ist, in der eine Sprache sagt, was sie sagt. Eine Sprache, in deren Schoß man sich sinken lassen kann.

Die entgegengesetzte Geste des Nomaden ist der Aufbruch in eine neue Sprache, aber das unterscheidet den Sprachnomaden von anderen Migranten:

"Para algum imigrante, o sotaque pode ser uma desforra, um modo de maltratar as palavras bastantes ao seu ofício e ao dia-a-dia, sempre as mesmas palavras, nem uma a mais. E mesmo essas, haverá de esquecer no fim da vida, para voltar ao vocabulário da infância. [...] Mas para quem adotou uma nova língua, como a uma mãe que se selecionasse, para quem procurou e amou todas as suas palavras, a persistência de um sotaque era um castigo injusto." (Chico Buarque, Budapeste)

Die Sprachen sind Länder ohne Territorien. In jedem Moment kann man vor einem Grenzposten stehen, der einen durchwinkt. Dort, jenseits der Grenze, wartet schon der Schoß der Adotpivmutter. Für eine kurze Rast.

Sonntag, 15. Februar 2009

Oben, hinterm Wald


In den letzten Tagen hatte es immer wieder geschneit, ein endloser Winter. Die Leute begannen, sich über den Schnee zu beschweren, als hätte es nie einen solchen Winter gegeben. In den Ortschaften entstanden Labyrinthe. Die Schneeberge rechts und links der Wege wuchsen den Menschen buchstäblich über den Kopf. Dann kam die Sonne und das Licht kristallisierte in den Augen.


Kaiserwetter nennen es die Alten. Es gibt lange keinen Kaiser mehr. Vielleicht muss man hier geboren sein, um zu verstehen, was es heißt, bei minus 5 Grad durch den Wald zu hetzen auf Skiern. Den Geruch nach Schweiß, heißem Tee, Schnaps und Essen, der einem in dicken Schwaden entgegenschlägt, wenn man ein Gasthaus betritt. Es ist eine Form von Glück, die nie über ihr kindliches Stadium hinaus kommt. Es beginnt schon auf den ersten Metern.


Sein Wesen liegt in der Wiederholung. Denselben Weg immer wieder laufen. Die selben Dinge sehen, als wäre es das erste Mal. Schicht für Schicht alle Bilder übereinander legen wie der Schnee, der über Nacht fällt.


Der Schnee war auf den letzten Kilometern unberührt. Keine Spur führte ins Tal. Wir machten uns einen Weg, eine Spur. Krakelig, mit Löchern dort, wo einer von uns in den Schnee fiel. Wie auf einem Palimpsest schrieben wir die Spuren immer wieder neu, mit unsicheren Füßen. Und nach der soundsovielten Wiederholung, kann keiner mehr sagen, wie es wirklich gewesen ist.

Montag, 9. Februar 2009

Sarajevo

Erst nach der Landung erfuhr ich von dem Tunnel, der unter der Piste des Flughafens verläuft und während der Belagerung gebaut worden war. Der Tunnel war Versorgungs- und Fluchtweg, von Hand gegraben. Die Straßenbahnen sind ein Sammelsurium des Ostens und des alten Imperiums, des österreichischen. Die Straßenbahnwagen von Sarajevo sind zum großen Teil verbrannt. Die Doppeltürme standen ebenfalls in Flammen, wie ich auf einem Foto gesehen habe.


Unsichtbar wie der Tunnel durchziehen heute Grenzen die Stadt. Man lebt unter sich und spricht schlecht über den anderen. Bosniaken über bosnische Serben, bosnische Kroaten über Bosniaken undsoweiter. Die nationalistischen Wünschelrutengänger haben Wasseradern aufgespürt, die es früher nicht gab und bestehen jetzt darauf, dass diese Adern das Lebenselixier ihres Volkes sind, aber nicht der anderen. Sarajevo aber lässt sich nicht teilen, zu sehr ist alles miteinander verwoben.


Saraj war der Rastplatz der Karawanen. Es gab und gibt gutes Wasser aus den Bergen. Das Wasser gefror zu Artilleriegeschossen. Das Recht der behaupteten Wasseradern, unterirdisch, unsichtbar für alle, die nicht fanatisch daran glaubten, wurde mit kristallener Härte durchgesetzt.


In den Bergen von Bjelašnica fällt dichter Regen, der die Quellen speist, für die Bosnien berühmt ist. Im Regen scheinen doe Dörfer mit dem Karstgebirge zu verwachsen. Holz stemmt sich gegen Stein stemmt sich gegen Wasser. Die Häuser stehen roh und unverputzt. Die Dörfer waren einmal alt. Jetzt sind sie alterslos, wiederaufgebaut nach dem Krieg, der sie auslöschen wollte. Auch hier zeitigten die eingebildeten Wasseradern der Nationalisten Wirkung. Fünfzig, vielleicht hundert Menschen und ein paar Schafe zuviel. Der Karst ist trügerisch. Das Wasser höhlt den Felsen aus und irgendwann stürzt der Boden ein. Seit Jahrhunderten haben die eingebildeten Wasser des Nationalismus den Boden Bosniens ausgehölt. Zuerst hat es seine zerstörerische Macht an der Landschaft ausprobiert. Es fiel aus schweren grauen Wolken, lief in Sturzbächen über die schlechten Straßen und versickerte im porösen Boden. Dort schürfte, schliff und löste es Steinchen um Steinchen, irgendwann der Boden einstürzte. Die Rattenfänger mit ihren Wünschelruten kamen später und machten es dem Wasser nach. Behaupteten, das Wasser zu kennen. Schürften im Bodensatz der Erinnerung bis dem Land der Boden unter den Füßen erneut einstürzte.


Die Bibliothek von Sarajevo ist bis heute noch nicht wieder aufgebaut. Die Wünschelrute zählt mehr als das gedruckte Wort. Wünschelrutengänger aller Parteien versprechen das lebensspendende Wasser und leiten es auf ihre Mühlen. Die Tunnelgräber unter dem Flughafen gruben ihre Schaufeln in den Boden, in der Gewissheit, dass er sie aufnehmen würde, und dass der Boden Bosniens das Gewicht trägt, dass auf ihm lastet.

Freitag, 23. Januar 2009

Zeit und Raum II



Noch einmal die Krümmung von Zeit und Raum erleben, zurück nach Europa. Mein letzter Tag in Chicago. Die große Zeit- und Raumblase der Erinnerung ein weiteres Stück aufblasen, um sich später darin spiegeln zu können.

China Town



Eine dampfende Nudelsuppe mit Koriander und Basilikum; ein Lotuskuchen und grüner Tee. Das ist die counter history des globalen Fastfood. Und sehr lecker.

Epiphanie



Downtown Chicago. Ein Deli in der Adams Street am frühen Abend, einen Block vom Art Institute entfernt. Von dort kam ich gerade, auf dem Weg zur El-Station. Im Art Institute hängt Edward Hoppers bekanntestes Bild "Nighthawks".

Dienstag, 20. Januar 2009

Lake Michigan



Endlich, nach mehr als einer Woche, habe ich heute den See aus der Nähe gesehen. Die Wellen waren am Ufer gefroren und über den Schnee gelaufen wie Zuckerguss auf einem Kuchen.

Freitag, 16. Januar 2009

Kälte



Minus 24 Grad. Jeder Atemzug schneidet in der Nase, die Augen offenzuhalten kostet Überwindung. Die Stadt funktioniert unbeeindruckt weiter. Wachleute tragen so viele Schichten am Körper, dass es unmöglich ist zu sagen, ob sie schlank oder dick sind. Arbeiter in neonfarbenen Anzügen hacken Eis und streuen Salz. Obdachlose sitzen auf dem Gehweg über den Gittern der Abluftschächte. Die Stadt liegt in der Sonne und es ist bitterkalt.

Mittwoch, 14. Januar 2009

Pilsen



Der Stadtteil Pilsen, benannt nach der böhmischen Biermetropole, war ursprünglich von polnischen Einwanderern bewohnt. Heute wohnen hier meist mexikanische Einwanderer. Spanisch ist die Verkehrssprache entlang der 18th Street. Nicht nur hier ist das öffentliche Leben zweisprachig. Weiter im Süden verläuft zwischen den USA und Mexiko eine der am besten gesicherten Grenzen der Welt. Im glorreichen Mythos der Frontier spiegelt sich der bittere Mythos von la frontera. Aber der Süden ist längst im Norden angekommen. Auch in Chicago, bei -13 Grad und Schnee.

Hinter der Maske



So hatten wir einmal das Motto unserer Silvesterparty genannt. Einige hatten sich einfache Zorromasken umgebunden, andere waren in aufwändigen venezianischen Masken erschienen. In Amerika, hat mir B. erklärt, gibt es die Maske des Alltags, die alle tragen, weil nur so die Vielfalt und Verschiedenheit ein Zusammenleben ermöglicht, in dem es keine Missverständnisse gibt. Die Persona war für die Griechen die Maske, die im Theater die Rolle des Schauspielers typisierte. Statt zu verbergen, zeigt sie die äußere Seite des Charakters und schützt die innere. "Hinter die Maske" sehen zu wollen, ist also ein Paradox, sie zeigt bereits das, was sie zu verbergen scheint. Man muss sie nur ansehen und sich nicht von ihr täuschen lassen.

Montag, 12. Januar 2009

Zeit und Raum



In Chicago weht Schnee durch die Straßen, dann bricht plötzlich die Sonne durch das Grau. Beide wechseln sich mehrmals ab. Am Millenium Park laufen Eltern mit ihren Kindern Schlittschuh. "The Bean" wird von den zahlreichen Touristen ein ums andere Mal fotografiert. Ein Laden gegenüber an der Michigan Avenue verkauft Obama Souvenirs. Zwischen den Häuserschluchten fahren die Hochbahnzüge und geben jedem Bild den Wiedererkennungswert. Auf dem Chicago River treiben Eisschollen in Richtung Michigansee. Downtown ist die Stadt vertikal, aber nur ein paar Stationen weiter draußen wird daraus ein Panoramaformat, das dem Himmel wieder zu seinem Recht verhilft.

Mit B. ist es, als hätten wir uns gestern zuletzt gesehen, dabei ist sie seit mehr als vier Monaten hier und noch länger haben wir uns nicht gesehen. Solche Freundschaften aber sind der Beweis der Relativitätstheorie. Sie krümmen Raum und Zeit und lassen uns weiter reisen, als wir es allein je könnten.