Dienstag, 31. Juli 2007

Porto in vier Farben II

Was heißt es Portugiese zu sein? Ich bin kein Soziologe, aber es dürfte ein Mensch sein, der es nicht merkwürdig findet, dass es ein Gebirge gibt, dass Estrela heißt - ich sage das, weil ich einmal nachts eine Amerikanerin kennenlernte, die dachte, dass Afrika gleich hinter dem Tejo anfangen würde, und dass man es demzufolge vom Terreiro do Paço aus sehen könnte. Ich hielt es übrigens nicht für notwendig, sie zu berichtigen. Portugiesen sind Menschen, die, wenn sie Eusébio spielen sehen, direkt oder indirekt fühlen, dass er zur Familie gehört; die die Tradition pflegen, auszuspucken, wenn sie spazierengehen – eben solche Sachen, die man gemeinsam hat. Und natürlich bedeutendere Dinge wie die gleiche Sprache zu sprechen. Aber genau hier beginnen die Dinge kompliziert zu werden. Das Portugiesisch, dass ich in Porto hörte, ist syntaktisch besser ausgearbeitet und die Wörter angemessener, als das Portugiesisch, dass man in Lissabon spricht. Ich will sagen, man spricht dort besser. Ich bemerkte es, als ich mich im türkischen Bad, wo ich mich viel länger als gewöhnlich aufhielt und der Dampf mir die Sicht nahm, von dem Klang und der Art und Weise zu sprechen faszinieren ließ. Sie sagen die Dinge vollständig, wenn ich mich so ausdrücken darf, was moralische Qualitäten wie Mut und Direktheit voraussetzt; oder, um deutlich zu sein, sie sprechen nicht auf portugiesisch, wie wir, sie sprechen portugiesisch, Punkt.
Aber ich bin zerstreut und muß mich konzentrieren, sonst werde ich nie fertig mit dem, was ich erzählen will. Ich drehe meine Runden. Ich bin nicht aus Porto. Wenn ich aus Porto wäre, würde ich schneller und sicherer Auto fahren, mehr und besser trinken und nicht glauben, alle bekannten Leute zu kennen, in Wirklichkeit jedoch so wenige.

Ich saß also auf einer Terrasse in Foz, mit weißen Fahnen, die im Wind wehten, dem Meer, dass an die Felsen schlug und einer Frau an meiner Seite, die Pfefferminztee trank. Das war am zweiten Tag meines ersten - und einzigen - Aufenthalts in Porto.
Ich hatte mich letzte Nacht sehr spät hingelegt. Ich konnte nicht schlafen, obwohl das Zimmer exakt denen der anderen Meridiens glich, und hörte nicht auf, mich durch die Fernsehkanäle zu zappen. Aus genau diesem Grund habe ich zu Hause keinen Fernseher – weil ich nichts anderes tue, als in das Gerät zu schauen, wenn ich eines vor mir habe, und da ich, wie ich schon sagte, kein Dichter bin, muß ich arbeiten. Ich fasste mir ein Herz - komisch, dieser Gebrauch des Verbs fassen – duschte mich, zog mich an, fuhr mit dem genau gleichen Fahrstuhl wie in allen Meridiens hinunter, stieg in das Taxi, das vor der Tür des Hotels wartete und sagte: »Aniki-Bóbó«. Ich weiß, das ist ein eigenartiger Name, aber ein Freund, Pité, hatte mir gesagt, dass ich ins »Aniki-Bóbó« gehen müsste, und das tat ich. Nicht um ihm den Gefallen zu tun, sondern einfach weil ich nicht einschlafen konnte.
Man ließ mich hinein, obwohl man mich nicht kannte, was mir ein bißchen Trost verschaffte. Ich bestellte etwas zu trinken, weil ich Durst hatte, und ein weiteres Glas zum Entspannen. Ich mag keinen Alkohol. Und da war es: das Ambiente war nicht viel anders als im »Frágil« - besser war nur die »Gulbenkian« meiner Jugend, würde ich sagen - aber es war anders, als wäre man in einem fremden Land und ich wußte nicht warum. Aber ich bekam es bald heraus.
Rui Reininho, den ich sehr gut kannte, woran die Erfindung der Fotografie schuld ist, und den ich auf eine Weise verehre, dass meine Kollegen es nicht zu wissen brauchen, kam zu mir und sagte etwa: »Sind sie nicht der, der den Pessoa-Preis gewonnen hat und diese Woche im »Expresso« erschienen ist?« Da haben wir es: die Portugiesen kaufen den Expresso sonnabends, die Iren nicht. Ich sagte, mit leichtem Stolz, der meinen Körper aufrichtete, »Ja.«
Ich bin von Beruf Mathematiker, Topologie ist mein Forschungsgebiet und ich habe in Princeton einen wichtigen Beitrag zum Beweis des weithin berühmten Theorems der vier Farben veröffentlicht, das, wie man weiß, seit den Arbeiten von Appel und Haken als unbeweisbar galt, obwohl es schwer etwas einfacheres auf der Welt geben dürfte. Deswegen habe ich den Preis gewonnen (Ich habe mich noch nicht entschieden, wie ich das Geld ausgebe.), und mein Foto erschien in einer Zeitung. Und das erlaubte es Rui Reininho, was alle brennend interessiert, mich im »Aniki-Bóbó« wiederzuerkennen (was für ein eigenartiger Name!).

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