Dienstag, 27. November 2007

Eine Kurzgeschichte von Pedro Paixão

Fremde

Ich hätte dir nicht in dein Land folgen sollen.

Avenida Almirante Reis, ein Blinder nähert sich in der Dunkelheit. Es ist heiß wie im Treibhaus. Du gehst vor mir, zwischen Gerüchen nach gesalzenem Fisch und Abgasen. Ich passiere eine Gruppe Frauen, seit sieben Jahren im Streit. Du siehst mich nicht an. Ich fühle an meinem Finger den silbernen Ring von drei Beziehungen. Du hast ihn mir gegeben, du hast ihn mir abgezogen, hast ihn mir wiedergegeben. Ich wage es nicht, dich zu verlassen inmitten dieser Stadt der sieben Hügel. Ich hätte dir nicht folgen sollen. Ich betrachte deinen Nacken, deine Haare sind geschmeidig wie das schwarze Gefieder eines Vogels.
Als ich am Bahnhof ankam, nahmst du mich nicht in deine Arme. Du riefst ein Taxi und brachtest mich weg. Deine Mutter empfing mich am Ausgang des Fahrstuhls. Wir schliefen nicht miteinander. Auf dem Balkon wartete ich auf den Schlaf. Die Straße ist rosa, rot und grün. Die Häuser sind nie gestrichen worden. Es ist eine sehr steile Straße. Große Flugzeuge kreuzen den Horizont, ich höre sie nicht. In deinem Zimmer hörst du Ravel und Debussy. Ich hätte nicht geglaubt, dass ich mich so schnell fremd fühlen würde.

Du nahmst mich mit nach Óbidos, ans Meer, damit wir allein sein könnten. Du wolltest mich nicht vor Sonnenuntergang lieben. Ich zitterte vor Verlangen. Du zeigtest mir Zwiebelfelder, Wanderdünen, einen Bach. Frösche hüpften zu unseren Füßen. Du gingst voraus. Ich hörte deine Stimme, deutete das Rauschen der Wellen in der Nähe der Felder, atmete den süßen Duft der Blumen. Du verachtetest deinen Vater und seinen Geschäftssinn.
Es war nicht hier, da ich dir begegnet bin. Auf den ersten Blick mochte ich dich. Du hattest nichts gemein mit der Wirklichkeit, die mich umgab.

Du gehst mir voraus durch die Gassen des Bairro Alto, zwischen engen und hohen Häusern. Die über unseren Köpfen aufgehängte Wäsche flattert im Wind wie Segel, wie Fahnen. Vogelkäfige hängen an den Fenstern. Du berührst mich nicht. Ich leide an der Distanz, die uns trennt. Ich glaube, nicht einmal mehr dich an der Hand zu halten ist mir erlaubt. Stück für Stück versagst du dich mir. Ein anderes Land besiegt mich, eine andere Sprache, ein entferntes Wesen. Ich weiß schon fast nichts mehr.
In Óbidos küsstest du die Mädchen auf die Wangen und sie lachten vor Vergnügen. Du nahmst sie mit nach draußen. Jeder kleine Kuss auf die salzige Haut der Kinder war für mich wie ein Krachen und ich las weiter diesen endlosen Roman im Schatten der Terrasse. Der Dorftrottel machte obszöne Gesten zu mir herüber. Die Bauern sahen mich an wie eine Giraffe. Ich war eine Fremde.
Ich verlor sogar meinen Namen. Alle nennen mich Ana. Mein Land entfernt sich.

Leider habe ich keinen Spiegel in meinem Zimmer, damit er mich wiedererkennt. Ich leere mich, du bist der einzige, der mich retten kann. Du schläfst zu schnell ein und wachst zu früh auf. Ich hätte dich nicht lieben sollen. Du magst die Liebe nicht. Du magst nur das immer gleiche, das sich wiederholende, den Tee jeden Tag im Estrela-Park, gegenüber dem Teich mit den Schwänen, das Vergnügen vor dem Schlafen, die gleichen Spaziergänge, die gleichen Leute seit ewig. Die gleichen Bücher, die gleichen Bilder, dieselbe Stelle bei Proust, die du mich immer hast laut lesen lassen, während du deinen Tee getrunken hast zwischen den Hibiskussträuchern im Estrela-Park. Du warst würdevoll und kurzsichtig wie ein Herr der nicht aus meiner Zeit kam.

Deine früheren Geliebten sind schön und unglücklich. Nichts in der Geschichte deines Lebens schien dem Zufall überlassen zu sein. Am Strand rittest du auf dem Pferd, wie du es auf dem englischen College gelernt hattest. Wenn ich dich nur sehe, fühle ich einen Schauer. Man könnte sagen, dass du alles gelesen hast, was man lesen sollte: Musil, Kafka, Cervantes. Mit achtzehn hast du riskiert, ins Gefängnis zu kommen wegen roter Wörter an Hauswänden, kommunistischer Wörter. Alle deine Freunde sind homosexuell. Du zeigtest mir das Gymnasium, wo du nie von der Ehrentafel verschwunden bist. Es scheint keinen Fehler in deiner Persönlichkeit zu geben, keinen Riss, durch den man eintreten kann. Wenn man dich hört, war dein Leben groß und dicht. Jedoch, manchmal scheint mir, dass ein Teil von dir auf der Strecke geblieben ist, tot irgendwo oder zumindest verloren. Du ängstigst dich vor Gefühlen. Wiederholst die gleichen Sätze. Ich suche dich hinter deiner Abwesenheit.
Ich folge dir. Du zeigst mir das Café deines Lieblingsdichters. Wenn du den Hut aufsetzt, den du aus Prag mitgebracht hast, ähnelst du ihm und deine jüdische Ausstrahlung tritt hervor. Wir essen Pastéis de Nata am Hironymuskloster. Du liest und ich würde dich nicht mehr lieben, wenn du ein absolut Unbekannter an einem anderen Tisch wärst, taub für den geschäftigen Lärm und gekleidet wie du in Blaugrau. Die Teekanne ist aus Silber und die riesigen Spiegel verdecken die Wände, die Kellner tragen weiße Handschuhe.

Als ich dich kennenlernte, lebtest du wie ein Mönch. Du standest früh auf, schlucktest ein rohes Ei. Du gabst dich mit fast niemandem ab. Du warst bei allen Kursen in der ersten Reihe, mit Krawatte. Gingst durch die Buchläden. Lasest die Briefe deiner Geliebten, die von der anderen Seite des Ozeans kamen. Sahst dir immer wieder die Fotografien von ihr an, sie nackt am Strand. Du ließt sie auf dem Schreibtisch liegen und kehrtest zurück zu Chomsky und Jacobsen. Ich lief dir über den Weg in einem holzverkleideten Hörsaal. Du hattest den müden Blick eines Kurzsichtigen. Deine Hände waren fein.

Heute nacht ist Lissabon zu groß und ich verliere mich in mir. Du glaubst, ich schreibe auf der Maschine, um dich am Schlafen zu hindern. Du nimmst eine Schlaftablette. Ich betrachte die Stadt, die Autos hupen in der Nacht. Ich kann nicht mehr zu dir sprechen, noch weiß ich, wie ich dich erreiche. Du sagtest mir: “Du bist die einzige Person, die ich an meiner Seite ertrage. Ich mag die Leute nicht. Aber ich brauche dich.” Später, als ich diese Krankheit hatte, fragtest du mich, ob ich sterben würde. Ich sagte nein. Sehr gut, sagtest du, dann müssten wir nicht heiraten. Halbtot hättest du mich akzeptiert. “Was ich an dir hasse,” sagtest du auch, “ist, dass du glaubst, ich würde dich nicht lieben.”

In Tavira kaufen wir Fleisch bei einem blutbefleckten Fleischer. Der warme Geruch des Todes verursacht mir Übelkeit. Ich gehe. Es gibt zu viele Insekten. Über der Steilküste werden wir von einer Wolke gigantischer Käfer attackiert. Ich träume vom Herbst in meinem Land. Die Portugiesen blicken auf mich unterhalb der Taille. Du bestehst darauf, dass ich auf meine Sprechweise achte. Du hast meine Fotos in eine alte Zigarrenschachtel gelegt, zusammen mit anderen. Du zeigst sie wem immer du willst. Du küsst mich nicht in der Öffentlichkeit. Du hast mir zwei rote Kleider geschenkt. Ich kämme mich nicht , sage Grobheiten, ziehe die beiden Kleider an.
“Du wirst mich nie kennen, wirst nie wissen, wer ich bin.” das sagtest du mir auch, als ich noch nicht wußte, wer du warst.

Ich sehe die Boote der Fischer, die in der Nacht auf dem Meer leuchten wie flüssige Sterne. Ich verschlinge Erdbeeren. Betrete das Zimmer ohne dich zu wecken, um dich schlafen zu sehen. Ich wiederhole im Kopf die Worte, die du mir auf portugiesisch beigebracht hast, dabei lege ich meine Hand in den Nacken. Die Dinge um mich herum verwandeln sich. Ich würde gerne am Strand schlafen, im Angesicht des Meeres, das zu dir gehört.
Ich fürchte deine Wut. Ich ertrage es nicht länger, dir in dein Labyrinth zu folgen. Ich fühle mich so klein. Eine Mücke hat sich an der Decke niedergelassen. Ich fühle, dass ich verrückt werde. Du hast mir auch noch gesagt, dass die Zärtlichkeiten die Haut nicht durchdringen. Du opferst mich. Zweimal habe ich dich verlassen, zweimal bin ich zurückgekehrt. Du bist in mir wie eine Wunde.
Ich hätte nicht kommen sollen. Wir verstehen uns nicht. Unser Verlangen, unser Vergnügen sind schmerzhaft. Du verletzt mich und bittest mich nicht zu schreien. Und wagst es noch zu sagen, dass ich zu dir gehöre. Ich befreie mich aus deinen Armen, deformiere mich. Trinke Schnaps, der mich verbrennt. Ich beginne dich zu hassen. Lissabon ist eine nutzlose Stadt. Auf dem Marmor in der Küche liegt ein toter Tintenfisch. Gleichzeitig liebe ich dich weiterhin maßlos.

Im Wald von Monsanto warten die Prostituierten bei den stillen Kiefern. Ich fühle mich mit Schrecken zu einem kleinen Teil in einem Puzzle werden. Du hörst weiter Ravel und Debussy in deinem Zimmer. Ich beschließe, zurück in mein Land zu gehen, um das Leben der Sterblichen zu leben.

Sonntag, 18. November 2007

Bloß nicht denken!

Fernsehen macht blöd. Geld hat noch jede Revolution verraten. Das System ist schuld. Derart sind die Wahrheiten, die der Film »Free Rainer« den Zuschauern in die aufgeweichten Köpfe hämmert. Denn eines wird nach spätestens 10 MInuten deutlich: Hans Weingartners neuester Film ist nicht mutig, er ist nicht politisch und ja, er will dem Zuschauer sagen: Du bist blöd! Vor allem ist er aber von einer unerträglichen Arroganz - nicht gegenüber den Zuschauern, die in der Tat blöd sind, wenn sie sich diesen Film ansehen, arrogant gegenüber den Figuren, die vom revolutionskitschigen Plot vergewaltigt werden. Selten habe ich einen Film gesehen, der es schafft, die Konflikte seiner Protagonisten so konsequent zu vernachlässigen, auszublenden und zu vereinfachen. Es hätte eine Klamotte, mit viel Slapstick werden können, wenn, ja wenn Hans Weingartner das Zeug dazu gehabt hätte. Aber Humor hat er nicht, das ist spätestens seit »Die fetten Jahre sind vorbei« klar. Denn »Free Rainer« ist im Grunde nichts anderes als die konsequente Fortführung dieses auch nicht besonders guten Films. Aber es kann immer nocht schlechter kommen. Vor allem, wenn man sich in der Tradition Fassbinders sieht, ohne auch nur im entferntesten dessen Komplexität zu erreichen. Das schlägt in »Free Rainer« voll auf die Schauspieler durch. Die liefern eine Leistung ab, die einem Gruppenseminar der Schauspielschule im 1. Semester zu Ehre gereicht. Versaut aber haben nicht sie den Film, sondern das Drehbuch, dass ihnen Sätze wie die oben zitierten abverlangt. Darin liegt in meinen Augen das eigentliche Versagen des Films: er nimmt diejenigen Menschen nicht ernst, die er zeigen möchte, verkitscht sie mit arrogant-verklärtem (oder verkoksten?) Blick zu Typen, die auf niederträchtige Weise instrumentalisiert werden. Das, was der Film zeigt, ist keine Befreiung, hier entlarvt sich elitäre Aufgeklärtheit als totaltäre Schreckensvision. Es ist dieselbe Befreiung, die der Kommunismus im 20. Jahrhundert über die Menschen gebracht hat. Ein Gespenst kehrt zurück, zum Glück nur im Kino...

Montag, 27. August 2007

Das zwanzigste der »Zwanzig Liebesgedichte und ein verzweifeltes Lied« von Pablo Neruda in einer Übersetzung von mir:

Heute Nacht kann ich die traurigsten Verse schreiben.

Schreiben zum Beispiel: »Die Nacht ist besternt,
und es blinken die Sterne, blau, in der Ferne.«

Der Nachtwind weht durch den Himmel und singt.

Heute Nacht kann ich die traurigsten Verse schreiben.
Ich habe sie geliebt und manchmal hat auch sie mich geliebt.

In Nächten wie dieser hielt ich sie in meinen Armen.
Ich küsste sie so oft unter dem unendlichen Himmel.

Sie liebte mich, und manchmal habe auch ich sie geliebt.
Wie sollte ich nicht ihre großen, auf mich gerichteten Augen lieben.

Heute Nacht kann ich die traurigsten Verse schreiben.
Denken, das ich sie nicht habe. Fühlen, dass ich sie verloren habe.

Die unermessliche Nacht hören, unermesslicher noch ohne sie.
Und die Verse fallen auf die Seele wie der Tau auf die Weide.

Was kümmert es, dass meine Liebe sie nicht bewahren konnte.
Die Nacht ist besternt und sie ist nicht bei mir.

Das ist alles. In der Ferne singt jemand. In der Ferne.
Meine Seele gibt keinen Frieden, weil ich sie verloren habe.

Wie um mich ihr zu nähern, sucht mein Blick sie.
Mein Herz sucht sie, und sie ist nicht bei mir.

Die gleiche Nacht, die die gleichen Bäume erbleichen lässt.
Wir, die wir damals waren, sind nicht mehr die selben.

Ich liebe sie nicht mehr, das ist sicher, doch wie sehr liebte ich sie.
Meine Stimme suchte den Wind um dein Gehör zu finden.

Einem anderen. Sie gehört einem anderen. So wie vor meinen Küssen.
Ihre Stimme, ihr heller Körper. Ihre unendlichen Augen.

Ich liebe sie nicht mehr, das ist klar, aber möglicherweise liebe ich sie.
Die Liebe ist so kurz, das Vergessen so lang.

Denn in Nächten wie dieser hielt ich sie in meinen Armen,
meine Seele gibt keinen Frieden, weil ich sie verloren habe.

Auch wenn dies der letzte Schmerz ist, den sie mir verursacht,
und dies die letzten Verse sind, die ich ihr schreibe.

Donnerstag, 9. August 2007

ilimitada e impertinente

para Eugénia, que daqui a pouco partirá para Guiné. (uma tradução do poema que coloquei em baixo, no post anterior). Ficarei com saudades - tuas e da África. Boa sorte e vai dizendo coisas!

todavia serei
africana
ainda que vocês
queiram
que seja
alemã
e todavia serei
alemã
ainda que
não vos convenha
que seja preta
darei
mais um passo à frente
até ao extremo
onde estão as minhas irmãs
onde estão os meus irmãos
onde
a nossa
LIBERDADE
começa
darei
mais um passo à frente e
mais um passo e
outro
e voltarei
quando quiser
se quiser
ficando
ilimitada e impertinente

May Ayim, filha de pai ghanaense e de mãe alemã morreu hoje há 11 anos.

Grenzenlos und unverschämt

Heute vor 11 Jahren nahm sich die afrodeutsche Dichterin May Ayim das Leben. Sie war Deutsche und sie war schwarz, zwei Eigenschaften, die für viele in diesem Land noch immer in Widerspruch zueinander stehen. An dieser Stelle und zum Gedenken an sie, ihr Gedicht »grenzenlos und unverschämt«:

ich werde trotzdem
afrikanisch
sein
auch wenn ihr
mich gerne
deutsch
haben wollt
und werde trotzdem
deutsch sein
auch wenn euch
meine schwärze
nicht paßt
ich werde
noch einen schritt weitergehen
bis an den äußersten rand
wo meine schwestern sind
wo meine brüder stehen
wo
unsere
FREIHEIT
beginnt
ich werde
noch einen schritt weitergehen und
noch einen schritt
weiter
und wiederkehren
wann
ich will
wenn
ich will
grenzenlos und unverschämt
bleiben

Mittwoch, 8. August 2007

Männer in Anzügen I

Hat jemals jemand stilvoller von der Liebe und vom Schmerz gesungen als Caetano?

Montag, 6. August 2007

Porto in vier Farben IV

Der letzte Teil der Kurzgeschichte, veröffentlicht unter dem Titel »Porto a quatro cores« in: »Viver todos os dias cansa«, Lisboa, Editora Cotovia, 2001, © Pedro Paixão.

Der Portier des Meridien ist ein erstaunlicher Junge, und als ich in Lissabon ankam, schickte ich ihm zum Dank eine Postkarte. Er war es, der mir sagte, wenn ich keine Lust hätte zu schlafen, wäre es am besten, ins »Swing« zu gehen, dass sich gleich nebenan befände und es wäre doch noch früh. Es war ganz und gar nicht früh, aber ich tat genau das, vorsichtshalber nahm ich eine kleine Empfehlung mit, die mir ein Kollege geschrieben hatte, denn ich habe immer Angst, dass man mich an öffentlichen Orten nicht hineinläßt.
Ich sage nichts über das »Swing«, weil ich für den Anfang nicht einmal die portugiesische Übersetzung von ”to swing” kenne - in der Topologie ist das Wort nicht gebräuchlich - und schließlich weil ich einige Treppen hinabstieg, Rui traf, der mich umarmte, als wären wir zusammen aufs »Camões« gegangen, und den Kopf verlor. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich meinen Kopf verlor, und das letzte Mal.

Es war zehn Uhr morgens, als die mathematische Fakultät anrief, um zu fragen, ob ich eine halbe Stunde vor Beginn der Konferenz da sein könnte. Der Vortrag, den ich halten sollte, hatte den Titel: »Über die Grenzen der Beweisführung am Computer am Beispiel des Beweises des Problems der vier Farben«. Es lief sehr gut. Der logische Schluß ist mit anderen Worten weiterhin das logischste Urteil, über das wir verfügen. Ein Teil der Zuhörer folgte teilweise den Schritten, während der andere Teil regelmäßig zustimmend nickte. Kaum hatte ich geendet, stieg eine Frau auf das Podium, genau dort, wo ich stand. Sie streckte mir die Hand hin und stellte sich vor - sie war Assistentin der analytischen Geometrie, dem anderen schönen Verfahren der Musik Gottes, und fragte mich, welches der formale Unterschied zwischen »wahrscheinlich wahr« und »schlüssig bewiesen« wäre. Ich lud sie ein, mit mir einen Tee zu trinken. Zu Hause trinke ich genau einen und einen halben Liter pro Tag, im Ausland variiert es.
Es ist diese Frau, die mit mir auf der Terrasse in Foz sitzt, das Gesicht dem Meer zugewandt, der Wind bläst von vorn und ich liebe diesen Meeresgeruch, der mir sehr außergewöhnlich erscheint, obwohl ich nichts von Ozeanografie verstehe.
Und wenn ich noch etwas sagen wollte inmitten von all dem, dann gestehe ich, dass es mir entfallen ist und ich nicht mehr weiß, was es war. Ich bin eigentlich sehr zerstreut. Es ist mir schon passiert, dass ich nach meiner wöchentlichen Schwimmstunde meine Schuhe mit anderen vertauscht und es erst am nächsten Morgen bemerkt habe. Aber es kann auch nichts so Wichtiges gewesen sein, sonst hätte ich es nicht vergessen.

Was tatsächlich wichtig ist, ist das Problem der vier Farben, und das ist wirklich unvergesslich: Egal, in wie viele Felder eine ebene Fläche geteilt wird, vier Farben genügen, damit keine zwei benachbarten Felder die gleiche Farbe haben.

Freitag, 3. August 2007

Porto in vier Farben III

Aber nicht deswegen liebe ich die Mathematik. Die Mathematik ist die Musik des Himmels, wo die Dinge perfekt sind, komponiert und gespielt von Gott, der sich nicht darüber sorgt, was auf der Welt passiert, der so sehr damit beschäftigt ist, dass die Welt sich ereignet. Das ist meine Religion, wenn man das Religion nennen kann. Aber ich bin schon wieder dabei, abzuschweifen, in diesem Fall – und das ist noch schlimmer – von Dingen zu sprechen, die nur mich und eine glücklicherweise sehr begrenzte Gruppe interessieren. Wenn es nicht so wäre, gäbe es keinen, der sich mit dem Funktionieren dieser von Natur aus unvollkommenen Welt beschäftigte.
Rui Reininho ermunterte mich, noch ein paar Gläser zu trinken, ohne jede Bosheit, eher im Gegenteil. Er stellte mich zwei Mädchen und einem großen, schönen jungen Mann vor und bat mich dann, die beiden Frauen in ihrem Auto zu begleiten, was ich sehr nett fand, um uns woanders, an einem Ort namens »Swing«, wiederzutreffen.
Erst nachdem ich mich auf die Rückbank gesetzt hatte, mit den beiden Mädchen auf den Vordersitzen, und das Auto sich in Bewegung setzte, verstand ich, dass die beiden Mädchen Rui genauso wenig wie ich kannten und nicht ins »Swing« wollten, sondern lieber woandershin, und dorthin fuhren wir. Ich verstand nichts mehr, ein weiterer Hinweis darauf, dass ich im Ausland war. Die Mädchen wollten um zwei Uhr morgens Billard spielen. Seit den seligen Zeiten auf dem Camões-Lyceum, wo ich immer der beste Schüler in Mathematik war, obgleich ich stets von meiner Mutter daran erinnert wurde, dass es sein könnte, dass man der Beste ist, weil niemand anders gut genug ist, habe ich kein Queue mehr angefaßt.
Danach nahm das eine Mädchen das andere mit zu ihrem Auto, sagte mir, dass ich ihr folgen sollte, und ich gehorchte. Ich weiß unendlich mehr von nichteuklidischer Geometrie als von weiblicher Psychologie, wenn das überhaupt etwas ist, was man kennen kann, und legte meine Hand auf ihre. Sie sagte mir umgehend, dass sie mich zu einer Taxihaltestelle bringen würde, und ich sagte nein, ich würde sie bis zur Haustür begleiten und sie sagte, dass es besser wäre wenn nicht. Aber wir gingen, verabschiedeten uns, und ich habe sie nie wieder gesehen in meinem Leben, obwohl ich mich erinnere, dass ich sie sehr attraktiv fand. Nachdem einige Minuten von der Art, die viel verändern, vergangen waren, verstand ich, was sie mit »besser nicht« sagen wollte. In Porto fahren nämlich keine Taxis durch die Straßen. Ich habe vergessen, meinen Freund João zu fragen, warum. Ich weiß nur, dass ich etliche Kilometer zu Fuß gelaufen bin, bis ich mein unverwechselbares »Meridien« fand. Ich ging jedoch nicht auf mein Zimmer, weil ich plötzlich stehenblieb und bemerkte dass ich leicht angetrunken war. Ich habe schreckliche Angst davor, nicht wieder klar zu werden, und Klarheit ist eine unentbehrliche Bedingung für meine Arbeit.

Donnerstag, 2. August 2007

Berlin - bonjour tristesse

Dass der Sommer seinen Höhepunkt überschritten hat, erkennt man uner anderem daran, dass wieder mehr über Fußball gesprochen wird. Der Hauptstadtsportverein Hertha BSC gab sich heute nach längerer Pause wieder einmal die Ehre, die erlauchten Hauptstadtjournalisten zur Pressekonferenz zu laden. Der neue Trainer Lucien Favre wertete die Veranstaltung schon mit seiner Erscheinung auf. Mehr noch allerdings mit knappen und präzisen Antworten, die so gar nicht zu den Kaffeesatzleserfragen der anwesenden Journaille passten. Aber er zog es durch und wechselte sogar, um sich besser ausdrücken zu können, bei einer Frage ins Französische, seine Muttersprache. Pech nur, dass die anwesenden Hertha-Reporter von Bild, B.Z. und Co. keiner fremden Zunge mächtig sind, wie sie unisono und lautstark grölend kund taten. Es handelt sich ja auch nur um Erstligafußball, einen Sport, dessen Internationalisierung weit fortgeschritten ist. Favre, der zuvor im zwar kleinen, aber kosmopoliten Zürich seiner Tätigkeit nachging, bekommt so die nötige Nachhilfe in Sachen Provinzialismus. In der Städteliga spielt Berlin, der Schmelztiegel der Provinz, eben immer noch Kreisklasse.

Dienstag, 31. Juli 2007

Porto in vier Farben II

Was heißt es Portugiese zu sein? Ich bin kein Soziologe, aber es dürfte ein Mensch sein, der es nicht merkwürdig findet, dass es ein Gebirge gibt, dass Estrela heißt - ich sage das, weil ich einmal nachts eine Amerikanerin kennenlernte, die dachte, dass Afrika gleich hinter dem Tejo anfangen würde, und dass man es demzufolge vom Terreiro do Paço aus sehen könnte. Ich hielt es übrigens nicht für notwendig, sie zu berichtigen. Portugiesen sind Menschen, die, wenn sie Eusébio spielen sehen, direkt oder indirekt fühlen, dass er zur Familie gehört; die die Tradition pflegen, auszuspucken, wenn sie spazierengehen – eben solche Sachen, die man gemeinsam hat. Und natürlich bedeutendere Dinge wie die gleiche Sprache zu sprechen. Aber genau hier beginnen die Dinge kompliziert zu werden. Das Portugiesisch, dass ich in Porto hörte, ist syntaktisch besser ausgearbeitet und die Wörter angemessener, als das Portugiesisch, dass man in Lissabon spricht. Ich will sagen, man spricht dort besser. Ich bemerkte es, als ich mich im türkischen Bad, wo ich mich viel länger als gewöhnlich aufhielt und der Dampf mir die Sicht nahm, von dem Klang und der Art und Weise zu sprechen faszinieren ließ. Sie sagen die Dinge vollständig, wenn ich mich so ausdrücken darf, was moralische Qualitäten wie Mut und Direktheit voraussetzt; oder, um deutlich zu sein, sie sprechen nicht auf portugiesisch, wie wir, sie sprechen portugiesisch, Punkt.
Aber ich bin zerstreut und muß mich konzentrieren, sonst werde ich nie fertig mit dem, was ich erzählen will. Ich drehe meine Runden. Ich bin nicht aus Porto. Wenn ich aus Porto wäre, würde ich schneller und sicherer Auto fahren, mehr und besser trinken und nicht glauben, alle bekannten Leute zu kennen, in Wirklichkeit jedoch so wenige.

Ich saß also auf einer Terrasse in Foz, mit weißen Fahnen, die im Wind wehten, dem Meer, dass an die Felsen schlug und einer Frau an meiner Seite, die Pfefferminztee trank. Das war am zweiten Tag meines ersten - und einzigen - Aufenthalts in Porto.
Ich hatte mich letzte Nacht sehr spät hingelegt. Ich konnte nicht schlafen, obwohl das Zimmer exakt denen der anderen Meridiens glich, und hörte nicht auf, mich durch die Fernsehkanäle zu zappen. Aus genau diesem Grund habe ich zu Hause keinen Fernseher – weil ich nichts anderes tue, als in das Gerät zu schauen, wenn ich eines vor mir habe, und da ich, wie ich schon sagte, kein Dichter bin, muß ich arbeiten. Ich fasste mir ein Herz - komisch, dieser Gebrauch des Verbs fassen – duschte mich, zog mich an, fuhr mit dem genau gleichen Fahrstuhl wie in allen Meridiens hinunter, stieg in das Taxi, das vor der Tür des Hotels wartete und sagte: »Aniki-Bóbó«. Ich weiß, das ist ein eigenartiger Name, aber ein Freund, Pité, hatte mir gesagt, dass ich ins »Aniki-Bóbó« gehen müsste, und das tat ich. Nicht um ihm den Gefallen zu tun, sondern einfach weil ich nicht einschlafen konnte.
Man ließ mich hinein, obwohl man mich nicht kannte, was mir ein bißchen Trost verschaffte. Ich bestellte etwas zu trinken, weil ich Durst hatte, und ein weiteres Glas zum Entspannen. Ich mag keinen Alkohol. Und da war es: das Ambiente war nicht viel anders als im »Frágil« - besser war nur die »Gulbenkian« meiner Jugend, würde ich sagen - aber es war anders, als wäre man in einem fremden Land und ich wußte nicht warum. Aber ich bekam es bald heraus.
Rui Reininho, den ich sehr gut kannte, woran die Erfindung der Fotografie schuld ist, und den ich auf eine Weise verehre, dass meine Kollegen es nicht zu wissen brauchen, kam zu mir und sagte etwa: »Sind sie nicht der, der den Pessoa-Preis gewonnen hat und diese Woche im »Expresso« erschienen ist?« Da haben wir es: die Portugiesen kaufen den Expresso sonnabends, die Iren nicht. Ich sagte, mit leichtem Stolz, der meinen Körper aufrichtete, »Ja.«
Ich bin von Beruf Mathematiker, Topologie ist mein Forschungsgebiet und ich habe in Princeton einen wichtigen Beitrag zum Beweis des weithin berühmten Theorems der vier Farben veröffentlicht, das, wie man weiß, seit den Arbeiten von Appel und Haken als unbeweisbar galt, obwohl es schwer etwas einfacheres auf der Welt geben dürfte. Deswegen habe ich den Preis gewonnen (Ich habe mich noch nicht entschieden, wie ich das Geld ausgebe.), und mein Foto erschien in einer Zeitung. Und das erlaubte es Rui Reininho, was alle brennend interessiert, mich im »Aniki-Bóbó« wiederzuerkennen (was für ein eigenartiger Name!).

Sonntag, 29. Juli 2007

Das Marlowe-Syndrom

Eigentlich sollte heute der 2. Teil von »Porto in vier Farben« hier stehen. Aufgrund des schlechten Wetters habe ich mich aber entschieden, einen Text einzustellen, den ich vor fünf Jahren geschrieben habe…

Das Marlowe-Syndrom.

Wenn es dir schlecht geht, greif zum Telefon, ruf jemanden an, mit dem du eigentlich nie wieder irgendetwas zu tun haben wolltest, dessen Telefonnummer du eigentlich gar nicht mehr haben solltest, die du aber aus irgendeinem Grund doch aufgehoben hast. Warte, bis sich alle anderen Freunde, mit denen du die ganzen Jahre deine Zeit verbracht hast, mit denen du dich in Kneipen verabredest hast, die du zu Hause besucht hast, die dir ein Ohr geliehen haben, weil es dir schlecht ging und von denen du dir dafür ein Ohr abkauen lassen musstest, aber alles in allem war es eine faire Sache, denn sie haben dich nicht mehr beläsigt als du sie und genau betrachtet glichen die Probleme, die sie mit der Welt hatten auf unheimliche Weise deinen eigenen. Das machte es einfacher, nehme ich an, man kann sich schwer auf Probleme einlassen, auch wenn man noch so ein guter Zuhörer ist, die nicht von dieser Welt sind, zumindest nicht von deiner oder ihrer, Probleme, die kleine Mädchen mit dem Erwachsensein haben, und das genau ist der Punkt, an dem du den Fehler begehst, eines dieser Mädchen, mit denen du vor einem Jahr oder zweien mal zu tun hattest, anzurufen, weil deine Freunde alle im Sommerloch verschwunden sind und du sie gerade in diesem Moment auf eine Reise durch die Barwelten einladen wolltest. Du begehst nicht allein diesen Fehler. Ihm gehen eine ganze Reihe kleinerer Fehler voraus, und erst am Ende machst du diesen letzten und größten und wählst ihre Nummer. Den ersten hast du begangen, als du ihre Telefonnummer nicht in tausend Schnipsel zerrissen, die Schnipsel mit Benzin getränkt verbrannt und die Asche in einer Bleikapsel eingeschlossen im Sankt-Andreas-Graben versenkt hast. Wenn der erste Fehler nicht noch weit davor lag, dann lass dies als Anfang gelten. Den zweiten Fehler, wenn wir einmal dabei sind, hast du begangen, als du die Telefonnummer nicht nur nicht vernichtet, sondern auch noch benutzt hast. Ich meine nicht, um damit irgendwelche Gedächtnisspielchen oder kabbalistischen Untersuchungen anzustellen, sondern benutzt, um dieses Mädchen, dass mit dem Erwachsenwerden die üblichen Probleme hat, anzurufen, obwohl du genau wusstest, dass das einzige Resultat dabei sein konnte, dass sie dich in genau diese Probleme mit hinein ziehen würde. Es interessiert sie kein Bisschen, dass du ganz andere Probleme hast. Unwichtigere, in ihren Augen, denn alles, was diese kleinen dunklen Mädchenaugen wahrnehmen, ist ein riesiger Berg von selbstgemachten Schwierigkeiten, die sie daran hindern, das Leben als das zu akzeptieren, was es ist: ungerecht und grausam. Das heißt, sie sieht durchaus die ungerechten oder grausamen Seiten des Lebens, aber eben nicht die wirklichen Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten, die weit weniger dramatisch daherkommen, als sie sich das vorstellt. Kein Mord und Todschlag, kein Blutvergießen, ganz sanft und auf rosa Wölkchen kommen sie daher. Aus ihrem Mund und aus den Mündern einer ganzen Armee von kleinen Mädchen ihrer Art, die sich allen Ernstes vorgenommen haben, nie jemandem im Leben weh zu tun, sich nie in emotional ausweglose Situationen zu bringen und die dieses Ziel mit der Präzision einer lasergesteuerten Rakete und um den Preis einer beispiellosen Kaltschnäuzigkeit auch erreichen. Von der ganzen Welt erwarten sie Verständnis für alles, sie wähnen sich praktisch im Besitz eines Blankoschecks vom lieben Gott persönlich, ausgestellt auf die Bank vom Heiligen Geist. Ein solches Mädchen würde dir ohne weiteres, wenn sie zu wählen hätte zwischen ihrer Integrität und dir, eine Kugel in den Kopf schießen. Es ist ganz unvermeidlich, sich mit ihnen einzulassen, sie finden einen unweigerlich, und ich war blöd genug, mich mit einer von ihnen einzulassen, und, nachdem ich mit ein paar gehörigen Schrammen davon gekommen war, ihre Telefonnummer nicht sofort zu verbrennen.
Immerhin hatte ich die Nummer nach etwas mehr als einem Jahr vergessen. Ich hatte außerdem alle anderen Spuren von ihr vernichtet, nur dieses gottverdammte Notizbuch hatte ich irgendwo aufgehoben unter dem Vorwand, dass sich darin außer ihrer noch die Telefonnummern von ein paar wirklich alten und entfernen Freunden befanden, Freunde von der Sorte, die man nach Jahren anruft, um dann, von einer plötzlichen Ahnung getrieben, den Schreibtisch nach ihrer Telefonnummer zu durchforsten und festzustellen, dass man sie wohl aus Versehen weggeschmissen hat. Kurz darauf ruft eben dieser Freund in der Regel an und teilt dir mit, dass er sich gerade in der Stadt aufhält, man trifft sich, geht einen heben, es ist ein prickelndes Gefühl, fast wie bei einem Rendevous, um dieses altmodische Wort wieder einmal zu gebrauchen, man redet etwas von früher, trinkt dabei, und wenn es nichts mehr zu reden gibt, dann trinkt man eben nur noch, bis man so voll ist wie ein Gully nach einer Woche Dauerregen. Das ist dann das Ende, wenn man davon absieht, dass es noch ungefähr drei Tage braucht, bis man seinen Magen einigermaßen saniert hat von dem Gezeche. An diesem Punkt schmeißt man dann auch den Bierdeckel mit der Telefonnummer des Freundes weg und hofft, dass der andere es genau so macht. Unter solchen Nummern befand sich also die letze Dame meines Herzens, schon wieder so ein altmodischer Ausdruck. Ich hätte immer noch wie eben beschrieben verfahren können, das Ergebnis wäre nur ein Jahrhundertkater gewesen, und das ist nichts im Vergleich zu dem, was ich mir mit einem Anruf bei ihr einbrockte. Das Marlowe-Syndrom. Wenn du gerade einen Sack voll Ärger am Hals hast, dann greif zum Telefon und diese Bürde wird dir leicht vorkommen, denn was dich bei diesem Mädchen erwartet ist nicht weniger als die Hölle. Das Schlimmste daran ist, dass man sich nicht wehren kann. Nicht mal der ausgebuffteste Talkmaster hätte auch nur den Hauch einer Chance. Und Schweigen ist bei ihr auch kein Gold, sondern Blei. Kaliber .44. Also lass die Hände wo sie sind. Keine Tricks. Schieb das Telefon auf die andere Seite vom Schreibtisch. Ganz langsam. Sieh nicht hin, sieh zur Wand. Die Finger gestreckt. So, und jetzt nimm die Hand zurück, auf den Rücken. Hier, nimm eine Zigarette. So ists gut. Und jetzt die Nummer. Nicht aufsagen, ich denke du hast sie vergessen?! So schnell wieder gelernt? Ich will nicht die Nummer hören. Ich will das kleine Buch aus deiner Tasche. Nur diese eine Seite mit ihrer Nummer. Schieb es auch rüber auf die andere Seite. Danke. Was? Ach ja, einen Aschenbecher. Danach hätte ich dich sowieso noch gefragt. Wozu? Die Zigarettenasche. Sicher. Wo finde ich einen? Im Schreibtisch? Auf deiner Seite, aha. Nimm ihn raus, keine Tricks. So, stell ihn dahin, in die Mitte. Genau. Und jetzt werde ich diese eine Seite hier rausreißen aus dem Buch und die nächste auch noch. Warum die nächste? Die Schrift drückt sich durch, wenn man mit Kugelschreiber schreibt, das weißt du doch? Damit hast du doch gerechnet, oder? Dass ich es nicht weiß? Ich werde noch warten, bis du deine Zigarette aufgeraucht hast, solange etwa wird es dauern, bis die beiden Blätter verbrannt sind. Ich hinterlasse nicht gern Spuren, das solltest du dir mal zu Herzen nehmen, das ist eine der Grundregeln in diesem Spiel, das du das Leben nennst. Ich hab keinen Namen dafür, und ich hinterlasse niemals Spuren. Hier ist ein Kuvert. Gib die Asche hinein und kleb es zu. Gut. Jetzt gib es mir zurück. Okay. Ich werde jetzt gehen, das heißt nicht, dass wir dich nicht mehr beobachten. Wir hören auch dein Telefon ab. Versuch gar nicht, dich an ihre Nummer zu erinnern. Vergiss sie. Versuch nicht, uns aufs Kreuz zu legen und von einer Telefonzelle anzurufen. Wir zapfen auch ihr Telefon an. Ein bisschen mehr Professionalität solltest du uns schon zutrauen, und schreib die Nummer auch nicht nochmal auf, wenn du nicht willst, dass wir uns wiedersehen. Auf Bald, Spürnase.

Freitag, 27. Juli 2007

Europa - eine erlesene Leiche

Mário Soares, ich weiß nicht ob sich jemand an ihn erinnert oder ihn überhaupt kennt, war in den 70-ern und 80-ern mal portugiesischer Ministerpräsident. Er ist noch heute einer der überzeugtesten Europapolitiker. "Ich wünsche mit die Vereinigten Staaten von Europa. Wenn wir das nicht schaffen, dann gibt es kein Europa mehr." Ich wünschte mir, wir hätten mehr Politiker, die solche klaren Worte finden. Es gibt, zu meinem großen Bedauern, keine Europapolitiker in Europa. Es gibt Egoisten, Narzisten, Populisten, nur keine Europäisten. Es gibt christlich-abendländische Visionäre und nationalistische Europahasser - beides Spinner, die nicht begriffen haben, dass Europa eine politische und zivilgesellschaftliche Union ist, die weder ein gemachtes Bett kultureller Identifikation für uns bereit hält, noch uns aus eben jenem vertreiben will. Was ist so schwer an der Vorstellung, Deutscher und Europäer zu sein? Angst, dass sich das eine und das andere irgendwann in Widerspruch zueinander befinden könnten? Und? Hat noch irgendwer diese Erfahrung NICHT gemacht? Schon Goethe lässt Faust im 1. Teil der Tragödie sagen: „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust.“ Und am Ende des 2. Teil hat eben jener Faust einen Moment der Ruhe, in dem er zurückblickt und feststellt, dass er einiges erreicht und geschafft hat in seinem Leben. Er hat sich nicht mit Reden aufgehalten: "Im Anfang war die Tat!", stellt er im 3. Akt fest. Danach handelt er, deshalb fehlt er, bereut - und fährt fort zu handeln.

P.S.: Das Europa, das wir gegenwärtig haben, erinnert mich an ein beliebtes Spiel der Surrealisten: Die erlesene Leiche. Man schreibt einen Satz auf ein Blatt, faltet das Papier so, dass nur das letzte Wort zu lesen ist, und gibt das Blatt weiter. Der Nächste schreibt einen zweiten Satz, der sich oder auch nicht auf das letzte Wort des vorigen bezieht, usw. Die Geschichten, die dabei entstehen, sind mitunter lustig, entsetzlich und von eindringlichen Bildern. Nur eines sind sie nicht: plausibel.

Donnerstag, 26. Juli 2007

Antidopingkampagne: Nehmt endlich diesen Sommer aus dem Rennen!

Der Juli schleicht sich langsam in Richtung Ziellinie, um dann unverzüglich zu verschwinden. Besser so. Es ist davon auszugehen, dass dieser Sommer als gedopt in die Geschichte eingehen wird. Es hätte ein richtig verregneter Sommer werden sollen, so scheint es vorherbestimmt gewesen zu sein. Wir hätten ihn abhaken, zu den Akten legen und in den Süden verschwinden können. So aber versucht sich dieser Sommer immer wieder in die Liste der wärmeren Vertreter seiner Spezies zu drängeln, nur um kurze Zeit später den nächsten (Kälte-)Einbruch zu erleben. Es ist empörend, wenn sich schon die Jahreszeiten mit unerlaubten Mitteln aus ihrer Mittelmäßigkeit retten wollen. Vom letzten Winter ganz zu schweigen, der war schon so hochgezüchtet, dass er problemlos als Frühling durchgegangen wäre. Am Ende wird nichts weiter nützen, als die Jahreszeitenwertung ganz zu streichen…

Mittwoch, 25. Juli 2007

Porto in vier Farben I

Eine Kurzgeschichte von Pedro Paixão. Heute der erste Teil:

”Fick meine Möse, aber meine Seele fickst du nicht.” Genau das sagte sie. Nicht zu mir. Zu wem hatte ich nicht mitgekriegt. Sie erzählte mir irgendeine Geschichte und dieser Satz war der einzige, der in meinem Kopf wider hallte. Auf einer Terrasse in Foz, Pfefferminztee trinkend und das Meer betrachtend, daran erinnere ich mich genau, der ich nie in Porto gewesen war und nicht wußte, dass es so ein Meer gibt, abgesehen davon, dass das Meer, wo auch immer, stets Meer bleibt und ich kein Dichter bin.
Ein Schweißtropfen lief ihren Hals hinunter, ich sehe ihn noch deutlich vor mir, während sie redet, ohne dass ich höre, was sie sagt. Nicht dass es mich nicht interessiert hätte, nur dachte ich gerade an etwas anderes. Vielleicht interessierte mich die Art, wie ihr Kopf sich an ihren Körper anschloß, und die Arme weiter unten, und alles Übrige, dass von einem verlangt, erst mit allem aufzuhören, um wieder neu beginnen zu können. Aber nicht an sie dachte ich. Auch nicht an mich. Oder an eindeutige Dinge zwischen mir und ihr.
Nein, ich schweife nicht ab, obgleich es, glaube ich, nicht verkehrt wäre, ein bißchen abzuschweifen, vor allem wenn man nichts weiter zu tun hat. Aber ich habe etwas zu tun. Ich will eine Begebenheit erzählen, auf eine Art und Weise, dass man sie versteht und danach muß ich arbeiten gehen. Ich werde also von vorne anfangen.

Es war das erste Mal, dass ich in der Stadt Porto war. Ich kam mit einem Zug an, der Lissabon am Nachmittag gegen drei verlassen hatte, ich erzähle das nur, weil ich es komisch fand, alle Leute eingerollt und schlummernd vorzufinden, als ich durch die Wagen ging. Ich kann, außer in meinem Bett, nirgends schlafen und ich reise nicht gern. Aber ich mußte nach Porto, also fuhr ich hin.
Und da ich nicht wußte, ob es in der Stadt mehr als einen Bahnhof gibt, lehnte ich mich, sobald der Zug hielt, aus dem engen Fenster - es war wohl so gestaltet, um Selbstmorden entgegenzuwirken - und fragte ein Paar, das vorbeiging, ob das Porto wäre. Sie lachten nicht, sie sagten nur ja. Ich stieg aus und nahm ein Taxi. Ich hatte ein Zimmer im »Meridien« reserviert, aus dem guten Grund, weil alle Meridiens gleich sind. Blödsinnigerweise dachte ich, als ich bezahlen wollte, dass ich keine Devisen bei mir hatte und dann erinnerte ich mich, dass ich keine Devisen brauchte, weil ich Portugal nicht verlassen hatte. Es kam mir vor, ich weiß nicht warum, als wäre ich im Ausland.

(Fortsetzung folgt)

Montag, 23. Juli 2007

Away…



Ein Wochenende in Mecklenburg. Keine große Reise, dennoch bin ich mit dem Gefühl zurück gekommen, zwei Wochen weg gewesen zu sein. Dazu braucht man nicht viel, dafür die richtigen Dinge: Sommer, ein See wie dieser, ein paar gute Freunde, ein Zelt, ein Boot…



…und einen offenen Blick, der zugleich nach innen und nach außen gerichtet ist. Spring ins Wasser, um die Stadt von der Haut abzuspülen, dann merkst du, dass sie nicht tiefer dringt. Unter der Haut bist du immer noch das Wesen, dass nachts ums Feuer sitzt, auf dem Rücken im Wasser liegend die Sterne betrachtet und sich angesichts dieses Schauspiels ganz klein fühlt, während die Gedanken alle Grenzen überschreiten und ins Unendliche gehen.

Donnerstag, 19. Juli 2007

Pictures on my hard drive

Gestern habe ich meinem Notebook eine neue Festplatte eingebaut. Die alte hatte offensichtlich eine Art Alzheimer Krankheit, obwohl sie noch gar nicht so alt war. Bestimmte Aktionen wie speichern oder öffnen von Dateien dauerten mitunter Minuten. Von Zeit zu Zeit vergaß sie bestimmte Dinge. Mit dem Kalender konnte sie überhaupt nichts mehr anfangen. Einmal waren alle meine Fotos verschwunden. Nicht gelöscht natürlich, sie hat sie nur nicht mehr erkannt. Dafür tauchten von Zeit zu Zeit Bilder auf, die ich vor langer Zeit schon gelöscht hatte. Alzheimerpatienten erinnern sich ja an unglaubliche Details aus ihrer Kindheit.
Nun habe ich die Alzheimerplatte also auf Altenteil befördert - nein nicht entsorgt, sie tut jetzt noch ein bisschen Dienst als externe Platte, nachdem sie neu formatiert wurde. Nichts Anstrengendes. Die neue arbeitet so flugs, dass ich mit dem Bedienen meines Notebooks kaum hinterherkomme.
Manchmal allerdings vermisse ich die rätselhaften Anwandlungen meiner alten Platte, besonders die Macke mit den gelöschten Bildern.

Montag, 16. Juli 2007

Die Liebe, diese Mikrobe

Ich muss vorausschicken, der Titel ist geklaut. Eine Freundin hat ihn auf ihrem Blog bereits verwendet. Da sie aber in einer anderen Sprache schreibt, möchte ich diesen wunderbaren Titel auch den hiesigen Lesern nicht vorenthalten.

Die Mikroben sind die wahren Herrscher der Welt, machen wir uns nichts vor. Sie nisten in unseren Eingeweiden, auf unserer Haut, im Mund und überall auf dem Planeten. Sie tun viel Gutes, manches Schlechte und sind unverzichtbar. Mit der Liebe ist es nicht anders. Menschen werden immer wieder von ihr befallen. Wie bei einer Erkältung greifen wir vorschnell zu drastischen Mitteln, auch wenn diese vollkommen unnütz sind. Ein grippaler Infekt ist eben nur ein lästiges, aber harmloses Virus. Gegen Antibiotika resistent außerdem. Man sollte bei der Liebe eine ähnliche Klassifizierung einführen. Ein »amouröser« Infekt wird eben nicht durch die Liebe, diese Mirkobe, ausgelöst. Auch wenn es sich zunächst so anfühlt. Und er geht vorbei, anders als die Liebe. Die ist heftig und dauerhaft. Auch wenn sie abklingt, steckt sie weiter in uns.
In Übergangszeiten werden wir uns dessen bewusst, deshalb sind diese Zeiten so wichtig. Und natürlich, damit sie uns mitnehmen auf einen Weg, den wir vorher noch nicht kannten. Und uns dabei wieder anstecken lassen von der Mikrobe der Liebe - oder andere anstecken. Manchmal kommt es sogar vor, dass zwei Menschen zugleich sich gegenseitig damit infizieren…

Freitag, 13. Juli 2007

Wings of desire

Berlin breitet seine Flügel wieder über mich, sie sind grau und kalt. Wie die Flügel der Tauben. - Das Berlin aus Wim Wenders "Der Himmel über Berlin" exitiert nicht mehr, las ich in einer Reportage in einer portugiesischen Zeitung. Gestern schien es wieder auferstanden zu sein. Eine Stadt die sich verschließt, die poetisch ist weil sie asozial ist. Der Charles Bukowski unter den Hauptstädten.

Montag, 11. Juni 2007

Pedro Paixão II: »Die Katze«


Es gibt Tage, weißt du, da möchte ich wie eine Katze sein und dass du mich anfasst ohne dir zu wünschen, dabei irgendetwas fühlen zu wollen außer dem, was sich in einem sehr langsamen Räkeln ausdrückt - eine vage Dankbarkeit? - und dass du mich dann auf dem Sofa liegen lassen würdest, ohne dass du etwas von meiner Seele mitnehmen könntest, denn du wüsstest gar nicht, was davon zu rauben wäre.

Freitag, 8. Juni 2007

Pedro Paixão: »Prinzessin«

Ab heute gibt es in unregelmäßigen Abständen Kurzgeschichten und andere Texte des portugiesischen Autors Pedro Paixão auf meinem Blog. Es sind Geschichten der portugiesischen Generation X. An dieser besticht vor allem das atemlose Sprechen des Erzählers. Viel Spaß beim Lesen.

Prinzessin

- Sie war es, die anrief und sagte: Hör zu, heute Nacht gehe ich mit irgendeinem anderen Typen aus, und ich fragte sie, warum sie mir das erzählte, und sie sagte, damit ich Bescheid wüßte, dass man auf diese Art einen Schlußstrich zieht und wir danach nicht mehr zurück können, rückgängig machen was passiert war und anderes Zeug in dieser Art, verlange nicht von mir, dass ich mich an alles erinnere. Mir brummte der Kopf und ich sagte ihr: geh nicht aus dem Haus, ich bin schon unterwegs, und ich fuhr los, das Auto lief auf Hochtouren und mein Kopf dachte schnell und kehrte immer wieder zu dem Gedanken zurück, wer der Kerl war, nicht du, der mit ihr ausgehen würde, meiner Prinzessin, und als ich ankam, schaltete ich nicht mal das Licht am Auto aus und fuhr mit dem falschen Fahrstuhl hoch und mußte zurück nach unten und den anderen nehmen und als ich oben war, kam ihre Mutter, um mir die Tür aufzumachen - Kann ich Joana sehen, und die Mutter, die ich bis dahin nur zwei Mal gesehen hatte, sagte nichts, öffnete nur die Tür und verschwand dann in einem der Zimmer. Joana saß vor dem Fernseher mußte wohl schon ein Päckchen Librium genommen haben, ich kann das an ihren Augen erkennen, du täuschst mich nicht, kaum sah sie mich, weinte sie ein bißchen und hörte dann wieder auf und sagte plötzlich, daß ich unvernünftig wäre und gemein, da ich seit einem Monat nicht anrief, dass sie mir völlig egal wäre und nur weil sie jetzt sagte, dass sie mit irgendeinem Typen ausgehen würde, nicht du, nur um nicht allein auszugehen, dass ich begreifen sollte, dass sie nicht allein ausgehen könnte und dass sie seit einem Monat zu Hause eingesperrt war und es einfach nicht länger ertragen würde – Scheiße, dass sie einfach ausgehen müßte. Und ich immer ruhig, nahm ihre Hand, die eisig war, und kurz darauf klingelte das Telefon und ich verstand, dass es der andere Kerl war, den ich nicht kannte, jetzt weiß ich wohl, wer er ist, und sie sagte ihm gleich, dass ich da war, als ob er mich kennen würde – und vom Sehen kannte er mich auch – sie begriff, dass sie nicht mehr mit ihm ausgehen konnte – vielen Dank auch – und ich wollte die Stimme von diesem Typen hören, von diesem Wichser, aber ich konnte nichts hören, nur das Telefon, das schließlich aufgelegt wurde. Und dann sagte ich ihr: Lass uns gehen. Sie ging für zehn Minuten ins Bad, während ich bei einer Episode von Mac Gyver hängen blieb, die mir vorkam, als hätte ich sie schon gesehen, und dann griff sie sich die Lederjacke, die ich ihr zu Weihnachten geschenkt und die mich ein Vermögen gekostet hatte und wir fuhren mit dem richtigen Fahrstuhl nach unten, sie schmiss die Tür hinter uns zu ohne ein Wort zu sagen, unnötig, und kaum waren wir ins Auto gestiegen, sah ich, daß es ihr nicht gut ging und sie bat mich, Musik einzulegen und ich sagte, dass ich ihr zuerst ein paar Dinge sagen wollte und sie sagte später. Zuerst fuhren wir in die Bar do Rio, sie bestellte gleich einen doppelten Wodka und ich das gleiche und sie war still und blass, wie ich sie vorher nie gesehen hatte und ungefähr eine Viertelstunde später sagte sie, dass wir woandershin gehen könnten und sie ging sofort rauß, ich brauchte eine Weile zum Bezahlen und holte sie ungefähr fünfhundert Meter weiter ein und sagte ihr, wenn es so wäre, würde ich sie zu Hause absetzen, und sie sagte mir, sie wolle weitergehen. Und als wir im Kremlin ankamen, hielt sie sich am Türsteher fest, Paulo, den ich auch ganz gut kenne, aber es war unnötig, sich so an ihn zu klammern, und gleich danach sagte ich ihr, dass es besser wäre, dort zu bleiben, weil ich langsam angepisst war, und ich war es, glaub mir. Sie bestellte noch einen doppelten Wodka und ich nahm auch einen, und da es nicht möglich war, sich zu unterhalten, weil die Musik so brülllaut war, gab es auch keinen Grund, sich zu unterhalten, und ich fing an zu bereuen, dass ich sie zu Hause abgeholt hatte, denn wenn eine Sache nicht gut beginnt, endet sie noch schlechter, und solche Sachen, die mir durch den Kopf gingen, während ich nach zwei oder drei Mädchen sah, mit denen ich mich sehr gut unterhalten hätte, wenn ich nicht mit Joana hier gewesen wäre, meiner Prinzessin. Und sie ging tanzen und ich sah ihr hinterher. Und dann, noch blasser, womöglich war es wegen dem Licht, sagte sie mir: Ich will schon gehen, und dass sie sich nicht gut fühlte, und diesmal verabschiedete sie sich nicht mal von Paulo, dem Türsteher, den du auch gut kennst. Und sie wollte keine Musik im Auto und kotzte aus dem Fenster, hielt ihren Kopf eine Viertelstunde so nach draußen, und als wir vor meinem Haus ankamen, sagte sie mir, dass sie nicht mit reinginge. Und ich stieg aus, mir war nicht nach noch mehr Rumgezicke, und sie stieg aus und ging ins Wohnzimmer, legte sich aufs Sofa und bat mich, wenn ich so freundlich sein wollte, ihr noch einen Wodka zu holen, und ich ging in die Küche, um ein Glas Wasser zu holen, das sie trank, ohne etwas zu sagen. Und ich kniete mich vor sie hin und begann, ihren Körper zu berühren, mit meiner Hand unter ihrer Kleidung, und wurde erregt und wollte es so schnell wie möglich machen, nur um so schnell wie möglich fertig zu sein, aber es ging nicht und sie wollte ins Bad gehen, von wo sie ungefähr eine Viertelstunde später zurückkam und sich dann auf mich legte, stöhnte, wie nur sie es kann und dann schlief sie in meinen Armen ein, meine Prinzessin, und ich dachte – Komisch, dass da jemand, nicht ich, dabei war, mein Leben zu leben.

Mittwoch, 6. Juni 2007

G8-Gipfel im Bunker

Vor einigen Tagen hatte ich das Vergnügen, den ehemaligen Atombunker der DDR-Militärführung in Harnekop zu besichtigen. 1,5 Meter dicke Betonwände schirmen das Gebäude, das 30 Meter tief im märkischen Sand vergraben liegt, ab. Auf drei Etagen liegt eine Kommandozentrale des Kalten Krieges, die für 455 Menschen und 25 Tage autarkes Leben vorgesehen war.
Der Bunker erscheint mir viel geeigneter für den heute beginnenden G8-Gipfel als das windige Hotel in Heiligendamm. Er ist leicht zu schützen, es gibt wirklich nur einen Zugang, und mit Pflastersteinen, Molotowcocktails und Eisenstangen ist dem Monstrum nicht beizukommmen.
Aber es gibt noch einen weiteren Vorzug: In der muffigen Atmosphäre hätten die Regierungschefs nach spätestens 3 Tagen einen ganzen Sack voller Bechlüsse gefasst, die alle Probleme der Welt lösen würden, so sehr hätten sie sich darauf gefreut, die Sonne und die Menschen wieder zu sehen.
Manchmal hilft es eben mehr, sich selbst einzusperren, statt die Kritiker auszusperren - Vorbild ist hier, wie auch in anderen Dingen, die katholische Kirche. Deren Kardinäle gehen mehr oder weniger freiwillig in Klausur, wenn es gilt einen neuen Papst zu wählen.

Sonntag, 3. Juni 2007

Nachtrag zum Karneval der Kulturen

Eine Strophe von Vinicius de Moraes' »Felicidade«:

A felicidade do pobre parece
A grande ilusão do carnaval
A gente trabalha o ano inteiro
Por um momento de sonho
Pra fazer a fantasia
De rei ou de pirata ou jardineira
Pra tudo se acabar na quarta-feira

Tristeza não tem fim
Felicidade sim

Traurigkeit war eines der immer wiederkehrenden Themen in der Lyrik von Vinicius de Moraes.
Warum, das kann man in diesen Zeilen lesen:

Guten Tag Traurigkeit
Wie spät, Traurigkeit,
Kommst du heute zu mir
Ich war schon dabei
Ein wenig traurig zu werden
Weil ich so lange
Ohne dich war

Mittwoch, 30. Mai 2007

Karneval der Kulturen



Der Karneval stellt die herrschenden Verhältnisse vorübergehend auf den Kopf. In Zeiten absolutistischer Herrschaft konnten die Untertanen für einen Tag Herrscher spielen. Sklaven konnten vorübergehend Sklavenhalter werden. Karnevalistische Elemente gibt es in fast allen Kulturen. Der Karneval der Kulturen trägt diese Tradition ins Zeitalter der Globalisierung. Für einen Tag ausbrechen aus der kosmopolitischen Gegenwart und eintauchen in eine traditionale Kultur, die sich auf der karnevalistischen Bühne präsentiert. Nicht das Zurückkehren zu Traditionen, sondern ihre Re-Konstruktion ist der dritte Weg der Globalisierung, jenseits von Links und Rechts. In Berlin jedenfalls hat der Karneval der Kulturen längst die Mitte der Straße erobert.



Mein Lieblingsbild ist dieses:



Ein neues Outfit für den nächsten Kirchentag? Nur Mut!

Donnerstag, 24. Mai 2007

Gott und die Dattel

Vor einiger Zeit unterhielt ich mich mit M. über die Liebe. Sie sagte mir, dass es ein persische Sprichwort gibt, das heißt: »Man kann nicht Gott und die Dattel haben.«, um hinzuzufügen: »Ich will aber beides.«

Ich habe oft an das Sprichwort und M.'s Bemerkung denken müssen, konnte ihr aber keine kluge Antwort darauf geben. Nicht dass sie eine von mir erwartet hätte, es war mehr eine Feststellung. Hier nun, nach über einem Jahr, meine Antwort:

Die Dattel ist die Gegenwart. Sie zu essen, bedeutet Genuss, ihr Geschmack ist vergleichbar der Lust und sie in den Mund zu nehmen weckt unser Verlangen nach mehr, die Dattel aber ist weg. Es ist ein großes Wagnis, die Dattel abzulehnen und sich für die Liebe zu entscheiden (für nichts anderes steht Gott in diesem Fall). Sie ist Ungewissheit und erfordert doch Gewissheit. Und wer sich auf sie einlässt, der bekommt einen Korb voller Datteln zurück.

Dienstag, 22. Mai 2007

Ein viel zitiertes Zitat eines/einer Unbekannten

»If you love something, let it go, if it comes back to you, it was and always will be yours. If it never returns, it was never yours to begin with.«

Warum schreibt der/die Unbekannte aber von »something« und nicht »somebody«, als wäre die Liebe ein Boomerang?

Freitag, 18. Mai 2007

Illusionen

Ich lese gerade von Paul Auster »Das Buch der Illusionen«. Das Buch ist in blauen Samt gebunden, mit silberner Prägung. Es war auch dieser Einband, der mich neugierig machte. Die Geschichte handelt von einem Stummfilmstar, der auf ungeklärte Weise 1929 verschwindet. Der Erzähler, der Frau und Kinder bei einem Flugzeugunglück verloren und scih aus der Welt zurückgezogen hat, erfährt, das besagter Schauspieler noch am Leben sei und ihn gerne kennen lernen möchte. Es geht in dem Roman nicht, wie man meinen könnte, um die Illusion des Kinos, das wäre zu banal. Es geht um die unzähligen kleinen und großen Illusionen, denen wir uns im Laufe des Lebens hingeben. Da ist die Illusion des Lebens selbst, dass nie zu Ende geht. Gestorben wird sehr viel in der Geschichte. Und es geht vor allem um die Illusion der Liebe. Nicht dass die Liebe selbst eine Illusion wäre - es wird auch viel und wahrhaftig geliebt in dem Buch. Es geht vielmehr um die Illusionen, die sich Menschen von der Liebe anderer machen - meist von der Liebe derer, die sie selbst lieben. Ein Bild der Liebe, dass mir dabei in den Sinn kommt: ein zäher Hund. So ein Tier kann ein treuer Begleiter durch Höhen und Tiefen sein, es kann viel durchmachen, weil es schon einiges erlebt hat. Auf andere wirkt er vielleicht nur wie ein Straßenköter, den man aus Mitleid nicht verstößt.

Nachtrag zu Paul Auster und dem »Buch der Illusionen«: Hier wird am Ende auch illusionslos geliebt, bis zum nahen Tod. Dazu musste sich der Held des Buches aber erst von allen Illusionen befreien. Er musste sich selbts verleugnen, ein Anderer werden. Als Phantom lebte er außerhalb der Welt um ihn herum, genau so, wie in seinem letzten Film. Erst als er wieder beginnt zu lieben und geliebt wird, kehrt er in seine wirkliche Identität zurück, nimmt seinen alten Namen wieder an. Mit seiner Frau zieht er sich zurück aus der Welt, aber nicht um sich zu verstecken, sondern um er selbst sein zu können. Die Liebe, so stellt sich am Ende heraus, ist keine Illusion, nur die Vorstellungen, die wir uns von ihr machen sind illusorisch.

Dienstag, 15. Mai 2007

Das Reich der Liebe



Dieser Tage ist mir beim Aufräumen eine alte Karte wieder in die Hände gefallen… So beginnen Geschichten aus der Zeit, als es noch weiße Flecken auf der Landkarte gab und die auch die sie umgebenden Geheimnisse. Bei der abgebildeten Karte handelt es sich aber nicht um eine Schatzkarte, es sind noch nicht einmal Wege eingezeichnet. Sie verweist auch auf keinen geheimen Ort, den es zu erreichen gilt. Dieses Reich liegt tief in uns, im Unbewussten und das, was daraus an die Oberfläche des Bewusstseins dringt, sieht oft ganz anders aus, als der Kartenzeichner es hier darstellt.
Wie gesagt, diese Karte nützt Keinem, der mit ihr die Liebe sucht - diese Vorstellung von der Nützlichkeit der Karten, die Koordinaten und Orientierung liefern, stammt aus einer rationalen Zeit. Das Reich der Liebe entspricht eher den frühen Karten der Entdecker, die sie mit Phantasie zeichneten und mit dem Schauder des Unbekannten versahen - des ewig unbekannten wohlgemerkt, das sich jeder Entdeckung entzieht.

Donnerstag, 10. Mai 2007

Autobahn in die Provinz



Meine gestrige Reise in die Provinz endete vor dem oben abgebildeten Kraftwerk. Quer über die Straße verlief ein Erdwall, es ging einfach nicht weiter. Zuvor war ich über eine nahezu fahrzeugleere Autobahn gefahren. Daraus auf eine fast menschenleere Gegend zu schließen, ist wohl nicht zu gewagt. Die ostdeutsche Provinz besticht vor allem durch die Abwesenheit junger Menschen. Die Orte wirken so surreal wie aus einem Kaurismäki-Film, die Menschen ebenso. Das einzig Erhabene war das Kraftwerk inmitten grüner Rapsfelder. Auf der Rückfahrt über die verwaiste Autobahn ging mir das gleichnamige Kraftwerk-Lied durch den Kopf. Elektropop, der gut zur deutschen Provinz passt: ein Bruch mit der Tradition, der sie als Hyperrealität neu erschafft.

Mittwoch, 2. Mai 2007

Die Revolution ist ein Barbecue

1. Mai in Kreuzberg. Rauch liegt in der Luft. Hier und da riecht es nach verbranntem Fleisch. Pflastersteine werden feilgeboten, die echten, die schon 1987 ihren Dienst getan haben. Die Masse wälzt sich durch die Oranienstraße. Bei Sonnenunterg, die Temperaturen sinken merklich, heizt eine Altherrencombo mit weiblicher Unterstützung den Leuten noch mal so richtig ein. Der Name der Band: »Ton, Steine, Scherben«. Die Barbecuedichte an diesem Tag ist nach vorsichtiger Schätzung die höchste jemals gemessene. Sie dürfte sogar noch weit über der von Thüringen im Sommer liegen. Von multikultureller Grillgesellschaft ist dagegen wenig zu riechen und schmecken. Köfte dominiert deutlich über Nackensteak und vereinzelte Bratwürste. Einzig der Jamaica-Jerk-Chicken-Stand steht einsam wie ein Leuchtturm dazwischen. Bei den Getränken steht es 1:1 Deutschland gegen Brasilien. Die Becks-Elf schlägt sich wacker gegen die Caipirinha-Selecção. Apropos schlagen: Richtig geprügelt wurde auch wieder am späten Abend, was mich zu dem Schluss veranlasst, dass die Linke leider nicht klüger geworden ist in den vergangenen 20 Jahren. Das ist umso tragischer, da die Rechte immer cleverer in Erscheinung tritt. Wer gestern mit offenen Augen durch Kreuzberg lief, konnte auch dort den ein oder anderen Autonomen Rechten erkennen, der sich mit Palästinenser-Tuch, Che Guevara T-Shirt und langen Haaren unter die Menge gemischt hatte. Die rechten Gesinnungszeichen musste man in diesem revolution Sammelsurium schon genau suchen. Wenn die Linke nicht schnell aufwacht, wird sie auf diese Weise von rechts unterwandert. Viele linke Standpunkte wie Antikapitalismus und Antiglobalisierung werden von den Rechten schon seit langem vertreten. Auch hat sich die autonome Linke immer als tendenziell intolerant und gegen eine offene Gesellschaft gerichtet gezeigt. Anthony Giddins Analyse der postmodernen Gesellschaft »Jenseits von Rechts und Links hat diese Entwicklung bereits in den 90-er Jahren vorausgesagt. Giddins schreibt darin auch, was viele Linke ungern hören wollen: konservatives und fundamantalistisches Denken findet sich heute eher an den Rändern des politischen Spektrums - sowohl links als auch rechts. Die ehemalige Avantgarde (wenn sie es denn je war), wird inzwischen sogar von den ewig Gestrigen überrollt…

Mittwoch, 25. April 2007

Luis de Camões

Als William Shakespeare 1564 geboren wurde, war Luis de Camões gerade irgendwo zwischen Afrika, Indien und China unterwegs. Seine Abenteuer hat er im portugiesischen Nationalepos »Die Lusiaden« verarbeitet. Wie Shakespeare hat er aber auch das ein oder andere Sonett geschrieben. Hier ist eines in einer freien Übersetzung:

Wie aus dem aufgewühltem Meer der Seemann
Matt und erschöpft, mit letzter Kraft
dem grauenvollen Schiffbruch kaum entronnen,
Wenn er nur davon reden hört, verängstigt

Schwört, nie mehr, auch angesichts der ruhigen See,
die eben noch zerwühlt,
Hinaus zu fahren, doch gedrängt
Von gierigem Verzehr sich fühlt:

So, meine Dame, flieh ich vor der Marter
Eures Blickes nur, um mich zu retten,
Und schwöre, nie einer andren mich zu zeigen;

Meine Seele, die sich nie von Euch entfernt,
Verlangt als Preis, um Euch zu sehn, dass ich mich
Dorthin wende, wo ich nur knapp dem Untergang entkam.

Allein sein

Kann man Alleinsein lernen? Die Frage erscheint so absurd wie einfach: im Grunde kann man alles lernen…Aber kann man irgend etwas lernen, was mit dem Sein in Zusammenhang steht? Kann man lernen zu sein?

Vielleicht heißt Sein ja vor allem Alleinsein. Das Kind lernt »ich« zu sagen und macht damit den ersten Schritt ins Alleinsein. Das ist ein Lernprozess, richtig. Er heißt ganz einfach erwachsen werden - selbständig werden, ein autonomes Individuum. Also hieße Alleinsein nichts anderes als ich selbst zu sein.

Zusammensein ist nicht das Gegenteil von Alleinsein, eher seine Vervollständigung – Sein von A(llein) bis Z(usammen), sozusagen…

Montag, 23. April 2007

Zwei Zahlen, zwei Welten

Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen in Frankreich lag die Wahlbeteiligung bei 84,6 Prozent, bei den Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt bei 36,5 Prozent.

Dienstag, 17. April 2007

Das Leben könnte so einfach sein…



…eine warme Wohnung, Geld auf dem Konto, Drogen und etwas Warmes zu essen - alles, was man zum Leben braucht.

Freitag, 13. April 2007

Hirte meiner Gedankenherde

Hüte deine Zunge! - heißt es, aber richtiger wäre: Hüte deine Gedanken! Vor allem sollte man »hüten« nicht mit »zensieren« verwechseln.

»Wenn ich mich zum Schreiben niedersetze
Oder, über Wege und Pfade gehend,
Auf ein Papier schreibe, das in meinen Gedanken ist,
Spüre ich einen Hirtenstab in meinen Händen
Und sehe meinen Schatten
Auf dem Gipfel einer Anhöhe,
Wie er auf meine Herde blickt und meine Ideen sieht,
Oder wie er auf meine Ideen blickt und meine Herde sieht,
Und dabei vage lächelt wie einer, der nicht versteht, was man sagt
Und vorzugeben versucht, dass er es versteht.«

(Alberto Caeiro)

Donnerstag, 12. April 2007

Denken und Handeln

»Das Herz, könnte es denken, würde aufhören zu schlagen.« (Fernando Pessoa, Buch der Unruhe)

Auch wenn der Titel dieses Blogs ums Denken geht, möchte ich heute über das Handeln schreiben. Es gibt eine Sphäre des Handelns, die sich nicht vom Verstand ableitet. Dafür gibt es den schönen Ausdruck »beherzt handeln«. Lieben, beispielsweise, ist beherztes Handeln. Deshalb lässt sich auch so schwer über die Liebe nachdenken und schreiben (oder sprechen). Sie lässt sich daher auch nicht begreifen - und nicht suchen, denn suchen kann man nur, wovon man eine Vorstellung hat.

Mittwoch, 11. April 2007

Mário Cesariny

Eine sehr gute Freundin machte mich vor einiger Zeit mit IHREM Dichter bekannt: Mário Cesariny. Der portugiesische Surrealist starb im vergangenen November im Alter von 83 Jahren. Eugénia, besagte Freundin, nennt ihn IHREN Dichter, weil sie in ihren eigenen Gedichten oft im Dialog steht mit Cesariny, den sie nie persönlich kennen lernte. Cesariny, seinerseits, verbrachte einige Jahre in Paris, wo er 1947 André Breton kennen lernte, den ich, neben anderen, als MEINEN Dichter bezeichne. So schließen sich die Kreise…das folgende Gedicht ist M. gewidmet.

Auf allen Straßen finde ich dich
Auf allen Straßen verliere ich dich
So gut kenne ich deinen Körper
Träumte so sehr deine Gestalt
Dass ich mit geschlossenen Augen
Deine Größe abmesse
Und das Wasser trinke und die Luft einsauge
Die über deine Taille flossen
So nah, so wirklich
Dass mein Körper sich verwandelt
Und sein eigenes Element berührt
In einem Körper der nicht mehr sein eigener ist
In einem Fluss der verschwand
Wo dein Arm mich sucht

Auf allen Straßen finde ich dich
Auf allen Straßen verliere ich dich

(Mário Cesariny)

Donnerstag, 5. April 2007

Chega de Saudade

»Denn ich bin so groß wie das, was ich sehe,
und nicht so groß wie mein Körper.«

(Alberto Caeiro)

Montag, 2. April 2007

Life on Mars?


Neukölln heute morgen.

Muitas vezes o coração
Não consegue compreender
O que à mente não faz questão
Nem tem forças para obedecer
Quantos sonhos já destrui
E deixei escapar das mãos

Se o futuro assim permitir
Não pretendo viver em vão
Meu amor não estamos sós
Tem um mundo a esperar por nós

No infinito do céu azul
Pode ter vida em marte

(Seu Jorge)

Dienstag, 20. März 2007

Eier, Dichter und der Tod

Nein, noch kein Ostereintrag in meinem Blog. Es geht vielmehr darum, Eier zu haben. In letzter Zeit scheint dies hauptsächlich Frauen vorbehalten zu sein (ich hoffe sie verzeihen mir meine vulgäre Ausdrucksweise). Angela Merkel, Ursula von der Leyen, Gabriele Pauli (sie alle kenne ich nicht persönlich, sie sollen hier nur exemplarisch stehen) haben sie jedenfalls - im übertragenen Sinn und ohne auch nur im entferntesten daran zu denken, sie in ihrer Weiblichkeit zu kränken. Ich meine hier politische Eier. Den männlichen Kollegen der genannten Frauen jedenfalls scheinen die Eier abhanden gekommen zu sein. Sie knicken ein vor der Tabaklobby, sie fahren lieber große Dienstwagen als Schwanzersatz (da scheint es einen Zusammenhang mit den fehlenden Eiern zu geben). Naja, ein paar Eierträger gibt es auch noch unter uns Männern. Einer von ihnen ist Manuel Alegre. Nie gehört? Er gehört zur seltenen Spezies der Dichter-Politiker und ist Vizepräsident des portugiesischen Parlaments. Am Freitag liest er auf der Leipziger Buchmesse aus seinem Buch »Rafael«. In seiner Biografie schreibt er:

»Wenn ich die Dinge tue, die ich mag, tue ich sie intensiv. Fischen zum Beispiel. Oder Reisen. Oder Teilen: den Genuss eines guten Essens mit der Familie und Freunden teilen, die Erfahrung eines konspirativen Treffens, die Kameradschaft der nie verloren gegangenen Illusion, dass die Revolution immer noch notwendig und möglich ist. Ich würde sagen, sie ist eine andere Art des Schreibens. Intensiv, dicht, gespannt. Wie die Liebe. Vielleicht wie der Tod.«

Mittwoch, 14. Februar 2007

Neulich bei der Berlinale

Vorgestern abend am Potsdamer Platz. Ich sah mit M. und K. den malayischen Dokumentarfilm »Village People Radio Show«. Die Auswahl des Films war mehr oder weniger zufällig, da wir keine Karten vorbestellt hatten und nur dieser Film und eine Dokumentation über Andy Warhol zur Auswahl standen. Der Warhol-Film dauerte 4 Stunden, also entschieden wir uns für Malaysia. Der Film war ausgesprochen klug und sogar kurzweilig. Ich sage nicht überraschenderweise, denn das wäre eine Beleidigung des Regisseurs in meinen Augen. Es ging um die ehemaligen muslimischen Kommunisten oder kommunistischen Muslime, die in der Rebellenarmee Jahre lang im Dschungel gegen die britischen Besatzer und für die Unabhängigkeit Malaysias gekämpft hatten. Malaysia weigert sich bis heute, diese Menschen und die Kommunistische Partei anzuerkennen. Sie leben in den Wäldern Thailands, das ihnen etwas Land und eine kleine Rente zahlt. Sie sind stolz auf ihren Widerstandskampf und genießen ihren Lebensabend. Sind sie Kommunisten? Auch wenn sie sich so bezeichnen, würde ich sagen, es sind Menschen, die sich ihre Menschenwürde bewahrt haben, die sich Bildung angeeignet und gegen den Kolonialismus gekämpft haben. So zeigte sie der Film. In der anschließenden Diskussion stachen vor allem zwei Fragen heraus: Die nach den im Film nicht präsenten Frauen und die nach den Mädchen, die beim Spielen gezeigt wurden und Kopftücher trugen. Weder das eine noch das andere hatte etwas mit dem Film zu tun, wer Augen, Ohren und gesunden Menschenverstand hatte, wäre auch gar nicht auf den Gedanken gekommen. Amir Muhammad, der Regisseur, war von den Fragen ebenso überrascht, aber nicht um eine Antwort verlegen. Auf die Frage, warum die Frauen nicht präsent waren, antwortete er: »Sie fühlten sich von den Dreharbeiten wohl gestört und gaben nur knappe Antworten. So wollte ich sie aber nicht zeigen, weil ich ihnen damit nicht gerecht geworden wäre.« Auf die zweite Frage, warum denn die Mädchen alle Kopftücher tragen würden, sagte der mit einem Lachen: »Sie haben Angst, in die Hölle zu kommen.«

Sonntag, 4. Februar 2007

Die Gesichter der Generation Praktikum



J. (li.) ist eigentlich keine Praktikantin mehr, aber das genau ist das Problem der so genannten Generation Praktikum. Es ist schwer, den Schritt vom Praktikum zur bezahlten Arbeit zu machen, die den Namen auch verdient und mehr als nur ein Taschengeld einbringt. Genau genommen sind die Praktikanten also Selbständige, die aber kaum von ihrem Lohn leben können. Also helfen die Eltern oder Hartz IV aus. Deutschland ist im Begriff, eine verlorene Generation heran zu ziehen. Ein paar Beispiele gefällig? Da ist ein guter Freund, promovierter Politikwissenschaftler und alles andere als praxisfern. Er forscht über jugendliche Subkulturen und hat zur aktuellen Bildungsdebatte mehr als nur eine Meinung beizutragen. Er hat sogar Ideen. Die sind in diesem Land allerdings nicht gefragt. Nach Absschluss seiner Promotion lebte er eine Zeit lang von Hartz IV. Inzwischen ist er Honorarkraft für verschiedene Institutionen. Unter anderem für das Land Thüringen. Er erhält 800 Euro im Monat. (Honorar, wohlgemerkt, kein Gehalt) für eine Arbeit, die ihn ohne Weiteres voll in Anspruch nehmen könnte. Ein weiteres Beispiel gebe ich nur wieder. Ich habe die Geschichte aus zweiter Hand gehört, kann mich allerdings für ihre Wahrheit verbürgen. Eine Hochschulabsolventin, schwanger, meldete sich arbeitslos. Kommentar der Sachbearbeiterin: »An ihrer Stelle würde ich erschießen.« In was für einem Land leben wir eigentlich?

Dienstag, 30. Januar 2007

Wir und die Anderen

In Berlin wurde heute das Europäische Jahr der Chancengleichheit für alle eröffnet. In der französischen Botschaft fand ein Forum zum Thema Integration und Chancengleichheit statt. Im Abschlusspanel saßen unter anderem die Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, Prof. Dr. Maria Böhmer sowie der französische Minister für Förderung von Chancengleichheit, Azouz Begag. Frau Böhmer und Herr Begag verstanden sich gut, das heißt sie tauschten freundliche Statements zu den unterschiedlichen Positionen beider Länder aus. Herr Begag, muss dazu gesagt werden, ist Sohn algerischer Einwanderer und in der Lyoner Banlieue aufgewachsen. Frau Böhmer attestierte ihm, sich mit Leidenschaft dem Thema Integration und Chancengleichheit zu widmen und betonte, dass Deutschland eher den systematischen Weg geht. Leidenschaft vs. Systematik - damit erhob Frau Böhmer zwei Stereotype zum Leitbild von Politik. Es verwundert wenig, wenn Migranten in Deutschland - bei allem Respekt vor den Kompetenzen und Leistungen Frau Dr. Böhmers - auf Menschen wie sie, deren Erfahrungen mit fremden Kulturen in einem Forschungsaufenthalt an der Unversität Cambridge bestehen, pfeifen. Würde statt ihrer ein türkisch stämmiger Deutscher sich im Auftrag der Bundesregierung um Integration und Chancengleichheit kümmern, käme vielleicht von ganz allein mehr Leidenschaft auch auf deutscher Seite ins Spiel. Und man müsste nicht alte Klischees aktualisieren und auf politischer Ebene verbreiten, die zu den größten Integrationshindernissen zählen.

Kamingespräche

Eine Freundin aus Portugal kommt mich im Februar besuchen. Neben dem üblichen Sightseeing haben wir uns auch vorgenommen, einige gute Kamingespräche zu führen. Ich habe zwar keinen Kamin (wohl einen Kachelofen, was aber nicht das gleiche ist), aber freue mich auf diese Art der Konversation. E., besagte Freundin, unterrichtet und schreibt. Sie hat ein Buch veröffentlicht und ihr zweites in Arbeit. Leider ist bisher keiner ihrer Texte übersetzt. Aber ich arbeite daran und hoffe, eines Tages einen Verlag für sie zu finden.

Freitag, 26. Januar 2007

Groß und kLEIN




Heute war ich seit Jahren zum ersten Mal wieder in einem Studentenclub. Zu meinen Studentenzeiten habe ich mich selten in solchen aufgehalten. Ich gebe zu, eine gewisse Abneigung gegen derartige Etablissements gehabt zu haben. Vielleicht ist das aber auch nur die Arroganz eines Großstadtstudenten gegenüber den Kleinstadtstudenten. Als Großstadtstudent konsumiert man Kultur und Getränke, die es an jeder Straßenecke und in jeder Preislage gibt. Kleinstadtstudenten dagegen sind Gärtner in einer nicht gerade blühenden Kulturlandschaft. Auf einen Kaffee und eine Zigarette war ich Gast in einem wunderbaren Café, während draußen die Wohnheimblocks in einem bleiernen Licht, das noch mehr Schnee verhieß, versanken. Danke A., D. und M. für die halbe Stunde, die ich mich bei euch heimisch fühlen konnte.

Noch fehlt dem Winter die Magie…



…die selbst bei einem postmodernen Nomaden Heimatgefühle auslöst. Heute fand ich nur das vor. Wenig Schnee und viele umgeknickte Bäume. Dennoch liebe ich Thüringen vor allem im Winter.

Berlin heute morgen



…und ich gehe auf Reisen. Keine weite Reise, und nur für ein paar Tage, aber immerhin.